Ich bin aufgeregt. Maya, Marc und ich sitzen am Bahnhof von Schopfheim auf den Bus wartend, der uns nach Bad Säckingen bringen wird. Die Aufregung gilt nicht nur meinem Lauf an sich, sondern, zugleich dem Umstand, dass Maya und Marc zum ersten Mal gemeinsam an der Strecke stehen, um mir zuzujubeln Wie werden sie zusammen zurecht kommen? Maya ist temperamentvoll, laut und zappelig. Eine echte Krachschachtel, wie ich sie liebvoll nenne. Für mich geht das in Ordnung, da ich daran einigermaßen gewöhnt bin. Marc gefällt dies alles nicht. Er liebt es, seine Ruhe zu haben. Seine Tochter Jula ist stiller. Mein stetiger Wunsch nach Harmonie birgt die Gefahr, mich hin und her gerissen zu fühlen, es beiden angenehm zu machen.


Schon die Busfahrt ist eine erste Herausforderung. Marc und Maya beanspruchen genau denselben Platz im Bus, auf der hintersten Reihe. Na toll, das kann ja was werden, denke ich so bei mir und unterdrücke eine erste kleine Enttäuschung über den Beginn des Abends. Ich schnappe mir Maya, setzte sie mir auf den Schoß und tröste sie über den Verlust ihres Platzes hinweg.

In Bad Säckingen angekommen steuern wir direkt den Kursaal an. Dank der gestrigen Erkundungen ist  das easy. Dort gibt es die Startnummern, das wunderschöne Laufshirt, die Möglichkeit sich umzuziehen und die Toiletten aufzusuchen. Maya bekommt ihr Laufshirt auch noch, obwohl der Bambinilauf bereits abgeschlossen ist. Die Helfer des Events sind lieb und suchen es ihr extra raus. Danke dafür! Stolz packt sie es ein, ebenso wie eine dieser Klatschhilfen aus Papier mit dem Logo des Laufes. Schließlich möchte sie mir nachher damit zujubeln.

Ich ziehe mich um und betrachte mich im Spiegel der Damentoilette. Geiles Teil. Ich meine damit nicht nur mein Shirt. Mit Ende vierzig bin ich verdammt stolz auf meinen sportlichen Körper und gestehe mir eine gewisse Portion Eitelkeit zu. Zurück zum Shirt, dieses farbenfrohe Stück Stoff wird mich über die Distanz von 6190 Metern tragen, jäh. Nachdem ich nun alles am Mann oder genauer formuliert, an der Frau habe, verabschiede ich mich herzlich von Marc und Maya. Ich darf mich eine dreiviertel Stunde vor dem Start zurückziehen und mich auf meinen Run vorbereiten. Die beiden werden noch einen Eisladen aufzusuchen und sich später an die Strecke stellen. Ich lasse sie zurück mit der Hoffnung, beide kommen gut miteinander aus. Winkend und Luftküsse verschenkend verlasse ich den Kursaal nach links, zum Rhein hin. Marc und Maya bleiben in der Stadtmitte.

Als ich mich am Rheinufer warm laufe, denke ich daran, wie schön es gestern hier war. Heute Abend ist es warm, aber nicht sonnig. Vom Zauberhaften des Tages zuvor sehe ich fast nichts mehr, komisch. Wie gut, dass ich es in meinem Herzen und Kopf abgespeichert habe. Mit leichtem Trapp laufe ich am Ufer entlang. Zwischendurch lege ich einige Sprints ein. Eine Treppe erklimme ich mit Kniehebelauf. Die kurze Distanz beim Trompeterlauf möchte ich heute schnellstmöglich absolvieren, da ist es unerlässlich, sich ordentlich warm zu machen. Je kürzer die Distanz, je intensiver und länger das Aufwärmen.

Kurz vor dem Start mache ich noch eine kurze Runde durch die Stadtmitte und schieße ein Selfie. Mein ganzer Körper ist unter Spannung. Sechs Kilometer auf Zeit laufen, habe ich lange nicht mehr gemacht. Wie schnell werde ich sein können? Kann ich vielleicht an läuferische Erfolge von früher anknüpfen? Im Juli 2016 lief ich auf dem Kurfürstendamm in Anwesenheit meiner Töchter Géraldine und Selina meinen schnellsten fünf Kilometer Lauf ever, in einer Zeit von 24:07 Minuten. Damals dachte ich, ich muss sterben. An diese Zeit würde ich nie wieder herankommen, das wusste ich. Trotzdem wollte ich heute alles geben, was ich konnte. Es waren Sommerferien, ich super fit. Maya und Marc waren bei mir. Alles super für einen krönenden Lauf dieser Distanz.

Im Startbereich angekommen stehe ich noch vollkommen allein. Keiner da. Erst wenige Minuten vor Beginn des Laufes erscheinen die Teilnehmer. Wir sind ein überschaubarer Haufen. Maya und Marc kommen vorbei. Oh, wie schön. Mein Herz pocht vor Glück und Freude. Meine Haut kribbelt. Maya ruft mir zu. Marc schießt noch ein paar Fotos. 20:15 Uhr geht’s los. Mein Lauf in den späten Sommerabend hinein und na klar, mit dem Ertönen einer Trompete, statt einer Startpistole. Holprig, auf Pflastersteinen geht es leicht abwärts auf die Strecke, bevor es rechts in Richtung Schlosspark geht. Hier läuft es sich besser. In Höhe des Amtsgerichtes steht eine kleine Gruppe, die allen Teilnehmern ordentlich einheizt. Sie jubeln und feuern uns an. Ich nehme ihre Zurufe auf und jubele und klatsche zurück, was sie noch mehr anfeuert. Geil! Ich liebe so was. Mit Gänsehaut auf meinem Körper ziehe ich weiter, wieder rechts herum, um die Runde zu vollenden. Am oberen Ende dieser Geraden stehen Maya und Marc. Meine Kleine hüft wie eine Flummiball, ein aufgezogenes Duracell-Männchen oder was auch immer. So sehr wie sie springt und ruft, hüpft mein Herz vor Freude. Ich bin den Tränen nah, so gerührt bin ich. Beide, Maya und Marc, klatsche ich ab und gehe in meinem Innern in Glückshormonen badend auf die zweite Runde. Noch fünf Mal muss ich an den Beiden vorbei, um auf die Distanz von 6190 Meter zu kommen. Eine ziemlich krumme Zahl, was die Kilometer angeht.


Fünf Mal hüpfen Maya und mein Herz um die Wette, wenn ich an ihr vorbei laufe. Marc schenkt mir jedes Mal ein wundervolles Lächeln, was ich erwidere. Die Truppe unten am Amtsgericht macht ebenso fünfmal Party und schenkt uns Läufern ordentlich Power für ein Stück der Strecke. Nach 31:47:05 Minuten erreiche ich das Ziel. Alles, aber auch alles habe ich gegeben. Meine Beine sind wackelig, mein Herz glücklich, mein Kopf frei von allem Schlechten. Dieser Moment ist perfekt. Mit Platz 11 aller Frauen auf dieser Distanz bin ich hoch zufrieden, da ich mit einer Pace von etwas über 5 Minuten meinen Lauf beendet habe. Später wird mir in meinem Profil meiner Sportuhr angezeigt werden, das es mein drittschnellster Lauf ever auf einer Kurzdistanz war. Mega!


Nach dem Zieleinlauf gehe ich auf die Suche nach Maya und Marc. Beide finde ich auf der Seitentreppe einer kleinen Kirche sitzend. Maya springt mir entgegen, als sie mich entdeckt. Ihre Arme umschließen mich fest. Ich knuddel sie zurück und entschuldige mich dabei, so zu schwitzen. Marc falle ich danach in die Arme. Wir küssen uns so lange, dass Maya wieder einen Kommentar abgibt, in dem sie ihr Unverständnis kundtut, was unsere Knutscherei angeht. Wir ignorieren ihren Spruch und lächeln sie stattdessen an. Mir fließen die Schweißperlen vom Gesicht, mein ganzer Körper ist nass. Bevor ich mich umziehe, schießen wir jedoch noch zu dritt ein Foto. Cheese. Mein Kopf ähnelt einer Tomate, so glühe ich. Der späte Sommerabend in Bad Säckingen ist immer noch sehr warm. Eine Weile wird es noch dauern, bis ich abgekühlt bin.


Als ich mich im Kursaal in Ruhe umgezogen habe, ziehen wir zu dritt in Richtung Bahnhof, um dort in ein bestelltes Taxi zu steigen. Da wir es hinter dem Bahnhof jedoch nicht finden und wir dort einige Zeit wartend verbringen, erzählt mir Marc währenddessen Geschichten von Maya und sich: Der Suche nach einem Eis, dessen Preis, da es schlussendlich ein Dessert wurde, welches Maya nur so mittel gut schmeckte, unglaublich hoch war. Dem Quengeln von Maya. Und ihrer Ausdauer in der Gegend umher zu springen und Krach zu schlagen. Rundum – ein toller Abend für beide, da mein Mann entspannter ist, als ich es selbst von ihm denke. „Mach Dir nicht immer so viele Gedanken, meine Kleine“, sagt er lächelnd, mich im Arm haltend.

Einige Zeit später haben wir unser Taxi gefunden. Ich bin abgekühlt und entspannt. Maya hat sich tot gequasselt und gehüpft. Während der Taxifahrt bricht die frühe Nacht in Südbaden an, erste Sterne leuchten, genauso wie Lichter in den Häusern der kleinen Städtchen und Dörfer. Bergauf, bergab schlängelt sich das Taxi über die leeren Straßen. Maya beginnt einzuschlafen. Mit aufgezwungenen Gesprächen halte ich sie wach. Marc redet ein wenig mit dem Taxifahrer vorne sitzend. Glücklich und müde komme ich nach Hause. Was für ein Lauf! Was für ein Nachmittag und Abend! Während mir die Augen zu fallen, ich in den Schlaf sinke, in Marcs Armen, träume ich bereits von neuen Abenteuern …

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert