Gegen den Wind – der Halbe in SPO
Der Wind am Strand von St. Peter Ording (SPO)
kann so heftig peitschen und den Sand so aufwühlen, dass man glaubt, die Haut würde einem von den Knochen gerissen. Ein gruseliges Bild? Ja, zugegeben. Es gab Sommer, da empfanden wir es so, wenn wir in Familie am Strand mit kurzen Hosen entlang gingen, während wir uns gegen den Wind stemmten, um voran zu kommen. Dunkle Wolken zogen dabei über uns hinweg. Das Szenario hatte etwas von herbstlichen Stürmen, dabei waren wir doch in den Sommerferien. Allerdings kann es an dieser Gegend auch sommerlich, sonnig, windstill und entspannt sein.
Im Juli 2012
hatten wir das Glück, ein paar Tage solch eines Sommers erleben zu dürfen. Damals war ich noch verheiratet, meine jüngste Tochter anderthalb Jahre und meine beiden großen Mädels inmitten ihrer Pubertät. Unsere Ferienwohnung war auf Grund unserer finanziellen Situation sehr bescheiden. So bescheiden wie auch das Wetter am ersten Tag, woraufhin ich einen Heulanfall bekam, weil ich nicht glauben konnte, in der leicht muffelig riechenden Wohnung, mit Charme der siebziger Jahre, meine lang ersehnten Ferien zu verbringen. Mein Mann Mike hatte damals nicht recht gewusst, was er mit mir Häufchen Elend anfangen sollte und war nicht in der Lage mich zu trösten.
Ich war untröstlich
Für vieles konnte ich meinen damaligen Mann verantwortlich machen, aber definitiv nicht für das Wetter an der Nordsee.
Glücklicher Weise hatte das Erbarmen mit mir und meiner Familie und besserte sich, somit auch meine Stimmung. Wir genossen gemeinsam die Sommerferien und ich konnte laufen. Laufen am Strand von SPO, beim Event „Gegen den Wind“. Jedes Jahr im Juli gab es an diesem Urlaubsort einen Triathlon und am darauffolgenden Tag den Halbmarathon. Wer sich die 21 Kilometer nicht zutraute, konnte auch 7 Kilometer beim Jedermannlauf versuchen. Genau diesen Lauf hatte ich mir ausgesucht. Ich war noch immer von der Schwangerschaft meiner jüngsten Tochter gezeichnet und hatte etliche Kilo mehr auch den Rippen, war weit entfernt von läuferischen Glanzleistungen und dennoch, das Lauffieber hatte mich schon wieder gepackt. Wahrscheinlich viel zu früh, denn mich sollten genau ein Jahr später Lauf-Probleme heimsuchen, die ich an diesem Ort versuchen würde zu lösen. Aber dazu später.
Erst einmal war ich überglücklich
inmitten unseres Sommerurlaubes an einem Laufevent teilnehmen zu können, an einem Nordsee-Strand. Straßenläufe hatte ich ja bereits einige hinter mir, auch in diversen Parks der Berliner Umgebung war ich gelaufen, aber an einem Strand? Das war neu und aufregend!
Zwischen Windeln wechseln, Essen kochen und Bespaßung meiner kleinsten Tochter und dem Rest meiner hübschen Familie hatte ich damals den Lauf am Strand, durch die Dünen, über den Deich von SPO sehr genossen und mir selbst das Versprechen gegeben, zurück zukehren und den Halbmarathon zu laufen.
Das ist nun 6 Jahre her …
Seitdem ist viel passiert. Dass ich einige Kilo leichter bin und zig Zentimeter dünner, war noch das Geringste. Mein Mann Mike und ich sind seit anderthalb Jahren geschieden. Meine zwei ältesten Töchter sind erwachsen und wundervolle Menschen, auf die ich sehr stolz bin. Meine Kleinste ist bereits ein Schulkind und lebt bei ihrem Papa. Und ich? Nun ja – ich lebe beruflich bedingt, seit April diesen Jahres allein in Kiel und verzehre mich in Liebe und Sehnsucht nach dem „neuen“ Mann in meinem Leben – Marc, der über 900 Kilometer weit weg wohnt.
Ich glaube, mehr könnte selbst ein Drehbuch an Story nicht hergeben.
Nur wenige Wochen nachdem ich in Kiel mein neues Leben begonnen hatte war klar, ich musste wieder an die Nordsee. Ich musste nach SPO, um den Halbmarathon zu laufen und mir mein selbst gegebenes Versprechen einlösen.
Gesagt, getan:
Es ist Sonntag der 15. Juli 2018
Die Sonne lacht schon hell am Himmel als mich der Wecker um sieben Uhr aus dem Schlaf holt. Schließlich lebe ich im hohen Norden unserer Republik und es ist Juli. Hier wird es verdammt früh hell. Mein Kumpel Mark, mit „k“ geschrieben, schläft noch. Ich stehle mich aus dem Bett und gehe ins Bad. Nachdem ich das knautschige Gesicht im Spiegel als meines identifiziert und gewaschen habe, gehe ich zurück in den Wohnbereich meines Mini-Apartments, welches die Größe einer Nussschale hat. Das möblierte Zimmerchen ist für ein Jahr mein Zuhause in Kiel und ersetzt meine 4 Zimmer Wohnung in Berlin, in der ich vor einem Jahr noch mit meinen Kinder gelebt hatte. Aus groß wird klein. Es ist eine echte Umstellung und eine Herausforderung. Tja, ich wollte mir ja ein neues Leben außerhalb meiner Komfortzone aufbauen, allein Fuß fassen und mein Leben neu gestalten. „Hey, alles glänzt, so schön neu …“, wie es Peter Fox, der „alte Berliner“, singt. Nun muss ich mit 26qm zurecht kommen, Mark im Übrigen auch! Ich starte nämlich die Kaffeemaschine, die mit ihrem Lärm meinen Laufpartner aus dem Schlaf reißt. Er räkelt sich verschlafen.
„Guten Morgen, Mark. Käffchen?“
frage ich ihn. „Jupp.“, antwortet er. Brrrrrrr… Zischsch… der Kaffee läuft in das bauchige Thermoglas und der Duft der gerösteten Bohnen entfaltet sich im Raum. Kurz darauf sitzen wir am weit geöffneten französischen Balkon, lassen den Sommer hinein und schlürfen Kaffee. Meine Lebensgeister erwachen. Mein Herz pocht kräftig und mein Puls springt in die Höhe. So, jetzt kann der Tag kommen. Der Tag, an dem ich nach SPO zurückkehre und den Halben rocke! Ganz im Stillen fühle ich mich heiß, fit, stark und sexy.
Vor einer Woche war ich in Schwerin dieselbe Distanz in 2:05 gelaufen und war stolz wie Bolle. Da wird doch zumindest eine persönliche Bestzeit für dieses Jahr, von 2:04 herausspringen. Ich bin fit, die Sonne scheint, was soll das schief gehen? Nix! Nach draußen hin bin ich da zurückhaltender. Ich neige nicht zum Posen. Ansagen zu Wettkämpfen mache ich eher selten. Stattdessen stelle ich mein Licht unter den Scheffel, während ich mit Mark über unsere Ambitionen zum bevorstehenden Event plaudere und wir unser Frühstück vorbereiten.
Mark hat es leichter, sagt er selbst. Er läuft den Jedermannlauf und ist vollkommen entspannt. Dafür darf er den Chauffeur mimen und uns sicher nach SPO und wieder zurück bringen. Das ist eine Herausforderung, die bewältigt werden muss. Schließlich hatten wir uns am Tage zuvor, bei der Suche nach dem Schwedeneck im Norden, in Richtung der Eckernförder Bucht, trotz Navi verfahren. Zudem stellte sich das Wetter gestern als eher bescheiden und der Strand als ebensolcher heraus. Das sollte heute alles besser werden! Jäh! Ab ging die Post.
Halb neun fahren wir in Richtung Westen los,
mit dem Umweg über die Stadt Husum die im Nordenwesten liegt, da es keine direkte Verbindung gibt. In anderthalb Stunden sollen wir da sein, sagt GoogleMaps. Die App muss es wissen. Wir haben vor Ort eine reichliche Stunde Zeit, zum Suchen der Eventanlage inklusive Parkplatz, zum Abholen der Startnummern und um uns fertig umzuziehen, Fotos zu schießen und pünktlich an den Start zu gehen. Marks Lauf beginnt 11 Uhr, mein Halber 11:15 Uhr.
Mit Musik für mittel-alte Rentner fahren wir Schnell –und Landstraßen entlang. Mark fährt, somit bestimmt er die Musik. Schließlich soll er sich wohl fühlen. Dass ein Mann, der sieben Jahre jünger als ich es bin, Musik hört, die älter ist als ich, überrascht mich ehrlich gesagt. Hey, Mark nimm es mit Humor! Ich hab doch trotzdem lieb. Ehrlich.
Ohne uns zu verfahren, landen wir pünktlich am gewünschten Ort. Sofort ziehe ich die Luft tief ein. Es duftet noch anders, noch frischer, als die Kieler Luft es tut, die durchaus schon Kurcharakter gegen die stickige Dunstglocke von Berlin hat. Geil – geil hier zu sein. Schauer überziehen meine Haut am Körper. Erinnerungen werden wach. Meine Stimmung steigt. Ich bin tatsächlich hier. Ich habe es geschafft und mein bester Freund Mark begleitet mich dabei. Danke!
Über die Dünen hinüber fahren wir
auf den großen Parkplatz direkt am Sandstrand. Die Webseite des Veranstalters hatte eine genaue Adresse angeben. Das und meine Erinnerung an damals, helfen uns, schnell und unkompliziert alles zu finden. Der Parkplatz wird von kompetentem und sehr freundlichem Personal betreut. Wir müssen nur sechs Euro für die Tagegebühr zahlen und keine Kurtaxe. „Ihr seht schon wie Läufer aus.“, gesteht uns der Kassierer und beschreibt uns den schnellsten Weg zum Eventgelände. Ah ja. Ich sehe es und wieder kommen weitere Erinnerungen hoch. 2012 war der Strand sehr nass und matschig gewesen. Es war unangenehm durch den Modder zu gehen. Heute ist alles trocken und Mark hat das Gefühl, in der Wüste zu sein, was durch die taffe Sonneneinstrahlung noch verstärkt wird.
In unzähligen Reihen parken Autos und Campingwagen
Oh je. Ob wir uns merken können, wo genau unser Leihwagen steht? Mark glaubt, den Wagen wieder zu finden und ich vertraue ihm. Na dann, ab Startnummern abholen und endlich Wettkampf-Luft schnuppern. Ich bin heiß auf meinen Lauf und merke wie es beginnt, in meinem Bauch zu kribbeln.
Das Eventterrain ist übersichtlich. Ein Toilettenwagen steht gleich links am Rand, als wir eintreten. Gut zu wissen. Da muss ich nachher noch hin und hey, bisher gibt es keine Schlange. Cool! Mein Blick schweift weiter. Es gibt ein großes Zelt, in dem es die Startnummern gibt und Infos zu den Läufen. Imbissbuden für Süßes, Deftiges und Kühles. Eine Bühne mit Sponsorenlogos geschmückt steht für Siegerehrungen bereit. Dazwischen gehen und stehen sportliche Menschen allen Alters.
Vom sexy Jungspund bis hin zur sportlichen, gesetzten Läuferin ist alles vertreten,
die jeweilige Begleitung inklusive. Mark und ich steuern das große Zelt an und besorgen uns unsere Startnummern. Das geht fix. 2012 hatte ich für meine Teilnahme am Wettkampf eine Sporttasche bekommen, die ich immer noch besitze und mit Stolz durch die Gegend trage. Heute gibt es nur Infozettel und die benötigten Sicherheitsnadeln. Tja, die fetten Jahre sind vorbei. Das bemerke ich immer wieder. Prall gefüllte Beutel bei Laufevents gibt es nur noch sehr selten. Dafür trage ich zum ersten Mal eine Papiertüte mit mir herum. Der Veranstalter möchte seinen Beitrag zur Beseitigung der Plastikproblematik beitragen und verzichtet auf selbige Tüte. Ob es nicht sogar Sinn macht, ganz ohne diese Dinger auszukommen? Wären wir Teilnehmer schon soweit? Ich glaube nicht. Aber ich sollte für mich persönlich darüber nachdenken.
Nun aber erstmal zum Meer,
schließlich sind wir an der Nordsee. Da wir noch eine dreiviertel Stunde Zeit bis zum Start haben, spazieren Mark und ich auf Holzbohlen in Richtung Wasser. Die Sonne scheint immer heißer vom Himmel. Es gibt kaum Wind. Ein „Gegen den Wind“ wird es somit heute wohl nicht werden, denke ich so bei mir und grüble darüber nach, wie ich den Halbmarathon angehen soll. Mit einer 6er Pace wäre nicht schlecht. Dabei spüre ich ja dann, wie sich Wetter, die Strecke und mein Körper entwickeln innerhalb der 21 Kilometer.
Meine Gedanken diskutiere ich mit Mark durch, während ich mit den Füßen im Wasser den Strand entlang laufe. Ein paar Meter möchte ich hier entlang gehen. Es ist so faszinierend. Ich liebe das Meer.
Mark findet meinen Plan in Bezug auf meine Pace umsetzbar
und auf Grund der Wärme auch vernünftig. Er wird sich darauf einrichten, nach zwei Stunden und pie mal Daumen fünf bis sechs Minuten nach meinem Start im Ziel auf mich zu warten. Abgemacht. Zurück am Auto machen wir beide uns laufschick: Laufklamotten an, Startnummern anbringen, Fotos schießen und dann ab zum Start-Zielbereich. Dort verabschiede ich Mark und wünsche ihm alles Gute für seine sieben Kilometer. Pünktlich 11 Uhr geht es für ihn los. Nachdem ich ihn aus den Augen verloren habe, gehe ich zum Toilettenwagen und erledige ein Geschäft für kleine Mädchen, welches nicht lange auf sich warten lassen muss, da es so gut wie keine Schlange gibt. Wieder mal ein Lauf, ohne Schlange am Klo stehen zu müssen. Geil! Es sind doch die kleinen Dingen, die das Leben angenehm und so wundervoll machen.
Es sind noch 5 Minuten, als ich am Startbereich ankomme und mit den anderen TeilnehmerInnen auf unser „Go“ warte. Ein wenig bin ich aufgeregt und das fühlt sich angenehm an. Der Lauf berührt mich. Gut so. Es ist etwas Besonderes, nach all den Jahren und dem, was geschehen ist, hier zu sein. 21 Kilometer werde ich bewältigen und wenn ich mich nicht ganz täusche, wird das hier und heute ein geiler Lauf. Ich spüre es.
11:15 Uhr. Start. SPO ich komme. Ich rocke dich!
Der Beginn der Strecke verläuft im wahrsten Sinne des Wortes im Sande. Einige hundert Meter müssen wir uns alle durch weichen Strandsand mühen. Wie viele andere vor mir, versuche ich mir einen halbwegs festen Untergrund zu suchen. An einigen Stellen gelingt dies, bis auf einmal wieder nur, fast puderzuckerartiger, Sand auf der Strecke liegt. Es hat seit Wochen nicht geregt. Kein Wunder also, wie auf rohen Eiern zu laufen. Nachdem der Sand überwunder ist, geht es rechts um die Ecke, auf einem befestigten Radweg. Hier läuft es sich plötzlich wie auf Wolken, leicht und entspannt für meine Beine.
Ich glaube zu schweben
Dieses flauschig, himmlische Gefühl verfliegt jedoch nachdem ich hinauf in ein Dünenwäldchen muss. Hier geht es rauf, runter, links und rechts herum. Kleine Wurzelmännchen warten auf ihre Chance, uns Läufer zum Stolpern zu bringen und die Sonne brennt uns mächtig auf den Pelz. Vorsicht ist auch geboten, um nicht mit meinen Mitstreitern ins Gehege zu kommen. Der Weg ist schmal und da ich im hinteren Teil des Feldes gestartet bin, auch voll. Überholmanöver müssen wohl durchdacht sein. Man weiß ja nicht, was hinter der nächsten Abbiegung lauert, noch nicht jedenfalls.
Dreimal werde ich diesen Parcours absolvieren
Vielleicht habe ich in der nächsten Runde schon mehr Platz und in der Dritten könnte ich wahrscheinlich hier schon blind entlang. Wer weiß. Das Dünenwäldchen ist durchlaufen. Nun geht es wieder einen kleinen Anstieg hoch. Ah, ich bin auf dem Deich in Richtung St. Peter Bad. Das Meer ist rechter Hand zu sehen, links erstreckt sich weiter das Dünenwäldchen. Wie geil, hier zu laufen. Das Meer, die Luft, Sonne. Ein Schauer durchzieht erneut meinen Körper und ich bekomme eine Schnatterpelle. Eine Träne bahnt sich ungefragt ihren Weg über mein Gesicht. Genieße kurz das Szenario, Diana. Dann wird gefightet, meine Liebe.
Wir sind nicht auf einem Wellness-Ausflug. Hier wird ein Halbmarathon gelaufen und zwar in einer passablen Zeit. Mit einer durchschnittlichen 6er Pace laufe ich mit den anderen Läufern den Deich, wie auf einer Perlenschnur gezogen, entlang. Auf der anderen Seite kommen mir Teilnehmer des Jedermannlaufes entgegen. Mark wird wohl schon durch sein, nach dem muss ich nicht schauen, denke ich kurz und konzentriere mich dann ganz auf mich. Meine Beine laufen rund, harmonisch, wie ein Uhrwerk. Mein Körper fühlt sich wohl. Die Sonne scheint kräftig, meine Sonnbrille schützt mich. Ich kann geradeaus schauen, den Deich entlang, zu den Dünen weiter rechts, die nun das Meer verdeckten.
2013 bin ich hier stundenlang barfuss spazieren gegangen
Damals hatte ich Probleme mit meiner Achillesferse auf der rechten Seite. Ich hatte Schmerzen und war am Morgen oft steif und konnte den Fuß nicht richtig bewegen. Dieses Problem hatte mich praktisch über Nacht erwischt und blieb, blieb und blieb.
Ich fiel in ein Loch aus Trauer, Wut und Frust, wälzte Bücher, las im worldwideweb und fragte jeden, dem ich Kompetenz in Sachen Laufen zutraute. Barfuss laufen, die Fußmuskulatur stärken war einer meiner großen Themen damals. In den Dünen hatte ich begonnen Meter für Meter wieder zu laufen. Erst einen Kilometer oder waren es sogar nur einige hundert Meter? Egal. Dann wieder Gehpausen. Geduld war noch nie meine Stärke. Einen eisernen Willen hatte ich jedoch immer, wenn es sein musste. Das ist wiederum meine Stärke. Ich wollte wieder laufen können. Also bestand mein gesamter Urlaub im Jahre 2013 darin, wieder laufen „zu lernen“.
2018 ist das lange Vergangenheit
Heute spüre ich, wie mich meine starken Beine tragen. Schritt für Schritt, die Deichkrone entlang laufend, habe ich das Gefühl, endlos unterwegs sein zu können. So lasse ich mich denn treiben, ohne Musik auf den Ohren, schon zum wiederholten Male bei einem Wettkampf, höre stattdessen auf meinen Atem und mein Inneres. Mein Blick richtet sich nach vorn und ich beschleunige leicht meine Geschwindigkeit. Dabei verzichte ich bewusst auf den Blick zu meiner Sportuhr. Scheiß auf die Pace, ich weiß, dass ich gut unterwegs bin. Das genügt vollkommen.
Es geht wieder den Deich abwärts, zurück ins Bad, auf dem Fußgängerweg entlang. Familien sitzen hier auf Bänken, Kinder spielen und so mancher nascht ein kühles, süßes Eis. Hm, lecker. Hätte ich auch gern. Bekomme ich auch! Zu Hause habe ich im Eisfach meines kleinen Kühlschrankes einen Riesenbecher Ben&Jerrys, mit Cookies. Den werde ich heute Abend genüsslich verdrücken. Yes! Zuvor gibt es am ersten Versorgungstand der Strecke Wasser. Ich stoppe, gehe langsam auf den Stand zu und greife nach einem Becher. Zwei kleine Schlucke des kühlen Nasses nehme ich zum Trinken, den Rest schütte ich mir über mein Kopftuch. Oh, das erfrischt. Mein Kopftuch ist sofort klitschnass und tropft. Ich spüre ein Rinnsal meinen Rücken entlang laufen. Hui. Meinen Trinkbecher werfe ich vorbildlich in einen bereit gestellten Abfallbehälter und laufe weiter.
Die Passage auf dem Deich gefällt mir,
trotz des dunklen Untergrundes und der damit verbundene aufsteigenden Wärme. Der Fluss an Läufern, die miteinander und aneinander auf diesem schmalen Weg vorbei laufen, geben mir einen anregenden Flow, einen Sog, in den ich mich einsaugen lasse. Step, step, step … immer vorwärts … Schwupdiwupp, bin ich an der Treppe, laufe runter vom Deich, hinein in das Dünenwäldchen, wieder links, rechts herum, hinauf und hinunter, über Wurzelmännchen hinweg. Hop Hop Hop … Ehe ich mich versehen kann, bin ich am Spielplatz „Pondarosa“.
Vor Jahren hatte ich hier mit meinen Kindern gespielt. Zugegeben, eher schlecht als recht. Meine kleinste Tochter war an sich zu klein, um klettern oder schaukeln zu können. Ständig musste ich sie betütteln. Meine Großen waren währenddessen zu alt, um das Areal spannend zu finden. Es war eher ein schlechter Kompromiss, um zwischen Mittagsschlaf und der nächsten Malzeit des Tages, eine Beschäftigung zu haben. Kleine Kinder waren und sind nicht mein Ding …
Heute versorge ich mich am Stand mit Namen „Pondorosa“, nur wenige Meter weiter, mit Wasser. Zwei kleine Schlucke für innen und den Rest des Bechers kommt wieder mit Schwung über den Kopf. Hui, das erfrischt erneut und immer wieder erschaure ich, wenn Wasser meinen Rücken hinunter läuft.
Meine Hose am Popo ist schon nass
und möchte trotz der Hitze nicht recht trockenen. Wenn ich weiter so mit dem Wasser umgehe, bin ich im Ziel klitschnass und zwar nicht nur vom Schweiß. Im Dünenwäldchen sind einige Meter zu laufen, bis es kurz und knapp auf eine Deichkappe geht und dann dem Weg rechts hinunter zum Strand zu folgen. Hier knallt die Sonne wieder gnadenlos, da es weit und breit an Schatten fehlt. Trotzdem empfinde ich es nicht als Belastung. Eher als Gott gegebene Tatsache, die ich hinnehme, wie die Luft zum atmen.
Am Rand stehen einige wenige Zuschauer, Radfahrer und Spaziergänger, die einen Moment erwischen wollen, um ihrer Wege fahren oder gehen zu können. Ich laufe an ihnen vorbei, links abbiegend. Hier laufe ich wieder auf weichem Sand. Vorsichtig und langsam. Nur ja nicht umknicken und sich den Knöchel verstauchen. Das wäre … ziemlich großer Mist. Das lassen wir mal lieber. Glücklicher Weise ist die sandige Strecke zum Ziel hin nicht lang. Den Rest darf man auf Holzbohlen laufen. Jäh! Endlich wieder festen Untergrund, also halbwegs. Zum Ziel sind es schätzungsweise 300 Meter. Ich halte mich links. Rechts ist der Zieleinlauf. Den habe ich erst nach zwei weiteren Runden, derselben Strecke, vor mir. Als ich das Zieltor rechts von mir liegen lassen und linker Hand dem Versorgungsstand einen kuren Besuch abstatte, habe ich weit und breit nichts von Mark gesehen. Er wird wohl noch beim Umziehen sein. Nach der zweiten Runde sehe ich ihn bestimmt.
Na dann auf, die nächsten 7 Kilometer bewältigen
Meine Zwischenzeit habe ich ehrlich gesagt nicht auf dem Schirm und sie ist mir auch schnurzegal. Es wird gut sein, einfach in meiner derzeitigen Pace weiter zu laufen. Mein Körper wird mir schon signalisieren, worauf er Bock hat oder auch nicht. Kraftvoll und ohne Atemnot passiere ich dieselben Stellen der Strecke. Die Anhöhen, die Deichkrone, das Dünenwäldchen, den Kinderspielplatz, um wieder am Strand zu landen und mich vorsichtig durch den Sand zu manövrieren. Im Zielbereich sehe ich diesmal Mark. Er macht Fotos von mir und winkt mir zu. Ich winke euphorisch zurück. Mein Körper hat mir nämlich signalisiert, dass die letzte Runde der Hammer wird, stark und schnell. So, dann mal auf … Die Sandpassage überwinde ich noch mit Vorsicht und viel Gefühl
Es ist wie auf Wackelpudding zu laufen
Anschließend läuft es sich auf dem festen Untergrund, in Richtung Dünenwäldchen, wieder wie auf Wolken, schwebend. Die Anhöhe überwinde ich auf dem Vorderfuß laufend. Eine Läuferin neben mir höre ich sagen, „ … dass schaffe ich nicht“. Sie geht den Anstieg hoch. Innerlich schmunzle ich. Hey, wie cool, dass ich noch Kraft zu laufen habe. Seit ich mit Marc, meiner großen Liebe, zusammen bin, stähle ich meinen Körper mit viel mehr Kraftübungen als jemals zuvor in meinem Leben. Er, als mein Personal Trainer, trimmt mich, auch wenn wir weit von einander entfernt leben. Zugegeben, ich bin stolz auf meine Muskulatur, auch wenn ich weiß, das ein schöner Körper nicht alles im Leben ist! Schönheit ist vergänglich. Die Menschen in und um mein Leben herum wissen, dass ich nicht übermäßig eitel bin. Die Anderen sind mir egal.
Zurück zum Halbmarathon
Ich schlängle mich ein letztes Mal durch den Teil des Dünenwäldchen, welches mich zum Deich hin führt. Hier oben überschaue ich wieder alles und erfreue mich daran, LäuferInnen zu überholen. Tapp, tapp, tapptapptapp … Mein Bauch kribbelt vor Freude, schnell und sicher so vielen TeilnehmerInnen zu passieren. Geil und nochmals geil! Wer hätte das gedacht? Na ich jedenfalls nicht. Gehofft ja, Gewusst? Never!
Irgendwann riskiere ich doch mal einen Blick auf meine Sportuhr. Das Verlangen zu wissen, wo ich zeitlich stehe, ist zu groß. Wow. Ich habe nur noch 5 Kilometer zu laufen und bin bei einer Zeit von 1:32. Wenn ich mit einer Pace von 6 durchlaufe, bin ich nach 2:02 Stunden im Ziel. Wenn ich etwas Gas gebe, laufe ich neue persönliche Jahresbestzeit von 2:04! Das wäre was, bei der Strecke und dem Wetter! Mein Herz hüft wie ein Flummi-Ball vor Freude. Ja, auf … weiter, weiter, weiter …
Lauf Mädchen, lauf …
Aber zuvor hole ich mir am Versorgungsstand im Teil Bad, von St. Peter noch Portionen eines Energiedrink und Wasser ab, die ich in kleinen Schlucken zu mir nehme und mir den Rest Wasser beschwingt über den Kopf ausgieße. Hui, wieder erschrecke ich mich über das kühle Nass in meinem Rücken, dass sich bis zu meinem Popo seinen Weg und darüber hinaus, bahnt. Mit kühlem Kopf und nassem Hintern fahre ich mit meinem Lauf wie auf Schienen fort, unaufhaltsam.
Ein letzten Mal über die Deichkrone hinweg gebraust, an LäuferInnen vorbei, während mir andere, entgegenkommen, die so aussehen, wie ich mich oft genug selbst bei Wettkämpfen fühle – ziemlich fertig. Nicht schlimm! Es wird bessere Tage geben für euch. Kopf hoch. Oft genug hatte ich solch motivierenden Worte auf der Strecke meinen Mitstreitern zugerufen und ihnen damit kurz ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, heute jedoch bin ich mal ganz bei mir.
Während ich in das Dünenwäldchen hinunter gleite
und den Deich verlasse, kann ich es nicht lassen, die beiden liebenswürdigen Damen, die als Streckenposten in der Sonne ausharren, noch einen wunderschönen Sonntag zu wünschen und dabei zu winken. Die grüßen freudig zurück. Beschwingt mache ich mich auf, die letzten Kilometer zu bezwingen. Nochmal rechts, links herum, hinauf und hinter, über Wurzelmännchen springend. Meine Beine sind immer noch dynamisch und kraftvoll unterwegs, alle Hürden leichten Fußes zu umlaufen. Mein Herz hüpft auch! Ein Hauch von Schnatterpelle durchzieht meine Arme und den Rücken.
Nie hätte ich vor 10 Jahren gedacht, dass mich laufen so glücklich machen kann. In so vielen Momenten meines Lebens haben mir genau diese Läufe, scheinbar endlos, Glückshormone ausschüttend, Mut und Kraft für bestehende Herausforderungen geschenkt. Wie auf Rädern brettere ich weiter den Weg entlang und „fresse“ LäuferInnen. Einen nach dem Anderen kassiere ich ein. Nur wenige überholen mich. An der „Pondarosa“ Ranch vorbeilaufend, diesmal ohne Wasser nehmend, laufe ich dem letzten Kilometer entgegen.
Ich riskiere nochmal einen Blick auf meine Sportuhr. Ach du Scheiße! Was laufe ich denn hier zusammen … Wenn ich keinen Sonnenstich habe, sehe ich eine Zeit weit unter 2 Stunden.
Nur noch einen Kilometer
habe ich zu bewältigen und ich bin bei 1:54 h. Ich habe noch entspannte 6 Minuten, um nach 2 Stunden ins Ziel zu kommen. Wie geil ist das denn! Na dann, los! Die letzte Anhöhe nehme ich förmlich im Fluge. Einmal rechts, einmal links und auf … in den Sand von SPO. Voooorrsichtig … tippel,tippel,tippel … geschafft. Jetzt auf den Holzbohlen weiter, das Ziel vor Augen. Einen Finisher-Spurt lege ich nicht ein. Warum auch? Ich bin einen geilen Lauf gelaufen. Ob nun zwei oder drei Sekunden schneller. Wen juckt‘s? Mein Herz rast, pocht stark in meiner Brust. Glückshormone machen sich wieder breit in meiner Brust. Gleich bin ich da …
Nach etwas über 2 Stunden durchlaufe ich das Ziel,
reiße dabei die Arme hoch und sende, wie immer, einen Gruß gen Himmel. Jäääähh! Ich bin da! Endlich! Unterm Strich war es natürlich sehr anstrengend und ich bin froh, gehen zu können. Kurz hinter dem Ziel gibt es Obst und Wasser. Ich schnappe mir einen Apfel und beiße beherzt hinein. Hm, lecker. Dabei halte ich nach Mark Ausschau. Er ist nirgendwo zu sehen. Was sollts, er wird schon auftauchen. Ich bahne mir meinen Weg durch die Menschenansammlung und möchte zum Strand.
Da sehe ich Mark, wie er gemütlich um die Ecke schlendert. Tja, er wird wohl noch nicht mit mir gerechnet haben, denke ich schmunzelnd und winke ihm wild zu. „Huhu, Mark“, rufe ich. Verdattert schaut er mich an. „Mit dir hatte ich noch nicht gerechnet.“, ruft er lächelnd noch weit entfernt. „Ich war sauschnell!“ rufe ich überglücklich zurück und werfe mich ihm euphorisch in die Arme. Zwei „Stunden, Mark! In zwei Stunden bin ich den Halbmarathon gelaufen. Ist das nicht geil?“. Ich hüpfe dabei wie ein Flummi-Ball umher. „Komm! Ich muss unbedingt zum Wasser!“, während ich das sage, beginne ich bereits meine Schuhe auszuziehen. Ah! Wie angenehm.
Barfuss laufe ich zum Strand
Die Flut hatte eingesetzt und große Teile des Strandes, der zuvor nur aus hartem Sand bestand, mit Wasser und Wellen bedeckt. Ich konnte es kaum erwarten meine Beine ins kühle Nass zu tauchen. Nochmal Aahhhh … Kleine Wellen umspülen mich bis zu den Knien. Die Sonne lacht vom Himmel, Kinder spielen am und im Wasser, die Wellen rauschen. Ein Hauch von Urlaubsfeeling kommt auf. Kurz besinne ich mich. Im Urlaub sein muss ich gar nicht. Nur knappe 90 Autominuten von hier ist mein Zuhause! Schleswig-Holstein ist meine neue Heimat. Dazu gehört es auch mal kurz an die Nordsee zu fahren, wie der Berliner an den Wannsee.
Mark steht am Rand und schaut mir zu. „Mach mal ein paar Fotos von mir, bitte.“, rufe ich ihm zu und ich reiße die Arme in die Höhe. Meine Glückshormone fließen immer noch in meinen Blutbahnen, so dass ich nach außen hin strahle wie ein dicker fetter Berliner (Pfannkuchen), der zu lange in der Sonne lag. Die ganze Welt könnte ich umarmen. Mark hat die von mir gewünschten Fotos geschossen.
Wie schön wäre es nur, wenn mein Marc hier wäre
Er fehlt mir … Ich verscheuche den Gedanken aber sofort wieder. Jetzt und hier möchte ich mein Glück genießen und nicht schon wieder anfangen, Marc zu vermissen. Er würde es auch nicht wollen. So schnappe ich mir meinen Laufkumpel, genannt Mark mit „k“ und zusammen gehen wir zurück zum Eventgelände, um dort nach den Laufdaten zu schauen. Mark meint, die Ergebnislisten dürften schon aushängen. Welche Platzierung und Zeit er hat, wusste er auch schon kurz nach Zieleinlauf. Dann schauen wir doch mal … Da ich keine Lesebrille auf der Nase habe, übernimmt Mark das Auslesen der Liste. „Du hast eine Zeit von 2:00:31 und bist damit die Dritte in deiner Altersklasse“, sagt er schmunzelnd. Ach nee, denke ich und sage: „Echt jetzt?“ und starre ihn ungläubig an. „Jupp“, gibt Mark zurück. „Wirklich?“, aufgeregt versuche ich die Liste am Aushänge-Brett zu entziffern und tatsächlich. Ich glaube eine 3 bei der Spalte AK entdecken zu können. Toll!
„Dann musst du zur Siegerehrung!“
erzählt mir Mark. „Vorhin wurden auch alle Altersklassen ausgezeichnet. Es gibt Medaillen.“, sagt er so trocken, als wäre es die letzte Wasserstandsmeldung und somit glaube ich ihm auch nicht. Er muss es mir nochmals sagen und ich frage extra nach, so ungläubig bin ich. Als ich endlich begreife, dass ich nach Jahren wieder auf einem Treppchen stehen darf und zwar hier, in St. Peter Ording, gehen bei mir alle Lampen an und ich strahle innerlich wie ein ganzer – Lampenladen!
Wir haben noch Zeit bis zur Siegerehrung, die erst 15 Uhr stattfindet. Ich kann mich in Ruhe umziehen und wir können uns für den Rückweg nach Kiel vorbereiten. Mark muss heute noch nach Berlin zurück. Sein Weg ist noch lang. Er meint, er ist froh nur die sieben Kilometer gelaufen zu sein. Nach einem Halbmarathon wäre es jetzt platt. Ja, bestimmt. Ich bin sehr happy, mich nachher in den Beifahrersitz fallen lassen zu können und auszuruhen.
Aber! Erstmal geht es jetzt zur Siegerehrung! Beschwingt schlendern wir zur Tribüne hinüber. Mark fragt mich, ob ich etwas von den Ständen haben möchte, Eis oder Pommes, er hätte vorhin ein leckeres Fischbrötchen gegessen. Nee, danke!
Nach essen ist mir nicht. Zuhause in Kiel schiebe ich mir eine Pizza ein und danach genieße ich mein Ben&Jerrys Eisbecher!
Ungeduldig warte ich,
abwechselnd sitzend Schatten eines Strandkorbes oder stehend in der Sonne, die Siegerehrungen der Gesamtsieger und der Altersklasse, vor mir ab. Dann endlich die AK 45. „… den dritten Platz belegte Diana Grimm …“. Das bin ich! Stolz und mit Kribbeln im Bauch erklimme ich das Podium und nehme strahlend meine Medaille und die Urkunde für den 3. Platz entgegen. Während die Zweit -und Erstplazierte aufgerufen und geehrt werden, versuche ich, das Szenario aufzusaugen, die Zuschauer, die Geräusche, die Farben, die Sonne.
Dieses Bild möchte ich in meinem Gedächtnis aufbewahren, für immer:
2018.
St. Peter Ording.
Sonne, Meer und ich – „Gegen den Wind“ …
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