Ja, es war eine Bauchentscheidung und zwar so was von. Ich hatte mit pochendem Herzen bereits ja gesagt, da war der Satz meiner Kollegin nicht fertig ausgesprochen. Als an diesem Nachmittag das Telefon klingelt, habe ich keine Ahnung, wie nachhaltig sich mein Leben verändern wird. Eine mir gut bekannte Kollegin aus unserem Haupthaus in Kiel ist am anderen Ende. Ich kenne sie seit Jahren durch die Arbeit im Personalrat. Ich hätte die Option, für eine besser dotierte Stelle nach Kiel zu wechseln in ein anderes Arbeitsfeld, die Veterinärmedizin. Sie kannte meine Ambitionen, innerhalb der Bundeswehr wechseln zu wollen. Seit langem war ich unglücklich mit meinem Job in Berlin. Mein Bauch „denkt“ sofort JA und ich spreche dieses Wort aus, bevor mein Kopf überhaupt mitreden kann. Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, realisiere ich erst so richtig, was diese Entscheidung für mich und meine Familie bedeutet. Aber kurioser Weise bin ich nicht traurig, sondern schwebe erst einmal auf einer Wolke und gebe mich gedanklich meiner beruflichen Karriere hin. Endlich eine Veränderung, endlich bin ich mal dran! Alles andere, auch meine Familie, kommt nun nach mir an die Reihe …

Hör auf die Stimme.
Sag wirst du reden oder schweigen?
Was wird passieren, was kommt danach?
Willst du weggehen, oder bleiben?
Du musst entscheiden, keiner nimmt’s dir ab.
Das ist ne Reise, ohne Navi.
Alles offen und immer wieder neu.
All die Prüfungen, ich glaub man schafft die
bleibt man sich selbst so gut wie es geht treu.
Da wo guter Rat teuer, du grad lost und gebeutelt bist war da nicht immer diese Stimme, die dir hilft und zwar immer.
Hör auf die Stimme, hör was sie sagt, sie war immer da, komm, hör auf ihren Rat
Hör auf die Stimme, sie macht dich stark, sie will dass du’s schaffst.
Also hör was sie dir sagt, singt EFF.

Info-Tafel zum Hebel-Wanderweg
An der „Wiese“ entlang

Ich laufe an der Wiese entlang, einem kleinen Fluss, etwas über 57 Kilometer lang, der am Feldberg im Schwarzwald entspringt und in den Oberrhein in der Nähe von Basel mündet. Es soll heute ein Long Run werden. Lang und langsam. Dabei möchte ich die Gegend laufend erkunden. Schließlich bin ich oft genug in der Schopfheimer Gegend herum gelaufen. Der Entegast-Weg ist toll zu laufen, auch in Fahrnau in Richtung des Krebsbaches zu laufen ist schön, nun soll es ein Teil des Hebel-Wanderweges an der Wiese in Richtung Basel sein. Mal sehen wie weit ich in einer Stunde komme. Der Song in meinen Kopfhörern lässt mich an die Situation vom Spätsommer denken, die alles verändert hat. Natürlich kam im Nachgang die Ernüchterung. Ich wollte diesen Job und ich traute mir die Veränderung auch zu, jedoch gibt es immer zwei Seiten einer Medaille.

2016 – Nach der Kita waren Maya und ich oft bei MacDonalds am Ostbahnhof, bevor es nach Hause ging.

Was würde aus meinen drei Töchtern werden? Hm, die beiden älteren waren groß genug, um allein zurecht zukommen. Zudem trugen sie sich schon länger mit dem Gedanken, unsere Mädels-WG zu verlassen. Géraldine hatte seit geraumer Zeit einen Freund, mit dem es Ernst zu sein scheint. Selina hatte angedeutet, in eine andere WG zu wechseln. Wahrscheinlich hatte ich das bei meinem JA alles im Unterbewusstsein. Unsere Mädels-WG war in der Tat sehr wackelig geworden. Als junger Mensch ist man spontan, entwickelt sich und kann und muss somit auch eigene Entscheidungen überdenken, neue sich offenbarende Wege gehen dürfen. Galt das in dem Fall nun auch für mich? Schließlich war da noch die Kleine, Maya, die siebenjährige Tochter meines geschiedenen Mannes und mir, die wir beide im Wechselmodell wochenweise betreuten. Durfte ich ihr zumuten, auf mich für größere Zeiträume verzichten zu müssen. Darf eine Mutter eigene Wege gehen? Darf eine Frau die Position des „Besucher-Papas“ innehaben und schaffe ich das überhaupt gefühlsmäßig, bricht es mir nicht das Herz, sie zu verlassen? Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich, nach so vielen Jahren, an mich denke?

Sächsische Schweiz Sommer 2016

Unsere Kleine mit nach Kiel zu nehmen, stand nicht zur Diskussion. Mein geschiedener Mann hätte mir seine Prinzessin nicht mitgegeben und ehrlich gesagt, trotz aller Liebe, die ich für Maya empfinde, hätte ich mein Leben wieder hinter das meines Kindes stellen müssen. Mit 47 Jahren, nach zwei Scheidungen und der Geburt meiner drei Mädels wollte ich mein Leben nachhaltig verändern. Nun war der richtige Moment gekommen. Das Leben steckt voller Herausforderungen, Kompromisse, Überraschungen, Gegenwind, steiniger Wege und kann zugleich wundervoll sein.

Auch die Strecke an der Wiese entlang ist spannend und wundervoll. Die kalte Jahreszeit hat ihre Reize, wie die Nebelschwaden und leicht vom Schnee „gezuckerte“ Bäume an den Hängen der Berge. Wie Puderzucker sieht es aus. Ich muss gleich mal ein Foto machen. Wurschtle … ah, endlich habe ich mein Handy aus der Westentasche gekramt. So, Fotos sind gemacht. Nun kann es weiter gehen.
Nach zirka 5 Kilometer, von Schopfheim in Richtung Süden, komme ich an eine interessante Stelle, ein verschlossenen Eingang zu einem früheren Bierkeller, den ich näher unter die Lupe nehme. Viel zu sehen gibt es allerdings nicht. Schade. Ich lese mir die Infotafel durch, mache ein, zwei Fotos und laufe weiter. Ab hier bin ich leider in der direkten Nachbarschaft zur Bundesstraße 317. Glücklicherweise laufe ich immer mit Musik, da höre ich den Autoverkehr nicht so.

Der Zufallsmix meiner Playlist lässt erneut den Song „Stimme“ erklingen. Ich stelle die Musik noch lauter und geben mich meiner Gedanken hin.

Da wo guter Rat teuer, du grad lost und gebeutelt bist
hör mal besser auf dein Bauchgefühl, das führt dich auch zum Ziel.
Ey glaub mir du bestimmst den Weg
und es ist ganz egal wohin du gehst
den es wird immer diese Stimme
die dir hilft, immer.
Hör auf die Stimme, hör was sie sagt, sie war immer da, komm, hör auf ihren Rat
Hör auf die Stimme, sie macht dich stark, sie will dass du’s schaffst

Schaffe ich es allein neu zu beginnen? Denn so viele Dinge werden uns im Laufe des Lebens wichtig. Manchmal sind es die Kleinigkeiten, die in ihrer Vielzahl jedoch Sicherheit und Vertrautheit schaffen. Der Friseurladen um die Ecke (liebe Grüße an meine Freundin Daniela Sasse), der Zahnarzt unseres Vertrauens (Praxis Dr. Consmüller), das lieb gewonnene Kino (Astor Kino Lounge), das Lieblingsrestaurant (Jolly), die Kantine in der Firma, ganz zu Schweigen von Freunden und natürlich der Familie. Das alles aufgeben, sich aus der Komfortzone heraus wagen? Mit Ende Vierzig? Na klar, sagt die Ratio! Oh je, sagt das Herz. Eine neue Wohnung suchen und zuvor in einer Dienstunterkunft schlafen (Komfort wahrscheinlich einem Hostel ähnelnd), ebenso einen neuen Arzt, Kosmetikerin (Liebe Frau Fuchs, Sie werden mir fehlen!). Oh je, meine geliebte Astor Kino Lounge gibt es in Kiel nicht, in der alte Filmklassiker am Sonntagmorgen gezeigt werden. Wie soll ich das überleben!? Mein Lauffreund Mark, meine Freundin Jana. Eine neue Laufgruppe finden, ist wahrscheinlich das Leichteste. Läufer gibt es wie Sand am Meer, apropos Meer! Ich werde an der See leben! Dort gibt es frische Luft, natürlich auch Wind, aber hey gute Luft ist in der Berliner City definitiv rar gesät. Alles andere wird sich finden und gegebenenfalls schütteln, wie ich stets zu sagen pflege.

Géraldine und Oma/Mami 2017

Ich bin nun bis und etwas über Maulburg hinaus, gelaufen. Das sind von zu Hause, in Fahrnau (eingemeindeter Stadtteil von Schopfheim), gute 8 Kilometer. Ab Kilometer 5 immer an der B 317 entlang, na ja, das ist nicht so der Renner. Wer weiß, wie es weitergeht. Vielleicht wird es an einer anderen Stelle wieder ruhiger. Aber das werde ich hier und heute nicht herausfinden. Die Stunde ist wie im Fluge vergangen und ich muss ja dieselbe Strecke wieder zurück laufen. Um noch einmal auf mein Bauchgefühl zurück zu kommen. All meine Sorgen und Ängste können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich an meine Zukunft in Kiel, an mein neues Leben, fest glaube. Was hätte ich denn auch für Alternativen, um glücklich zu sein 2raumwohnung singt dazu in meinem Kopfhörer

Das Leben ist nur ein Moment
und wer den Anfang und das Ende kennt
der weiß es geht nur darum
sind wir glücklich?

Ja, ich möchte glücklich sein. In Berlin werde ich es nicht, habe ich das Gefühl. Wenn ich erst einmal ins kalte Wasser gesprungen und beginnen werde zu schwimmen, wird alles gut. Und was wird aus meiner Beziehung zu Marc, der großen Lieben meines Lebens? Seit über einem Jahr sind wir zusammen. Zwischen Südbaden und Berlin pendeln wir beide. Nun wird der Weg zueinander noch länger, weiter.
Viele fragen mich, warum ich nicht zu ihm ziehe – in Südbaden ist das Leben noch in Ordnung, die Landschaft wunderschön und das Wetter in Teilen des Sommers, wie am Mittelmeer (nur ohne Meer).

Das obligatorische Selfie-Bild

Nun ja, was soll ich Berliner Großstadtgöre in einer Kleinstadt? Irgendwann würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Im Haus von Marc hat bereits eine andere Familie gewohnt, nämlich seine frühere, samt Tochter Jula. Das führt über kurz oder lang zu Problemen, mit denen ich nicht zu Recht kommen würde. Wenn ich mit Marc glücklich werden möchte, muss ich temporär meinen eigenen Weg gehen, zum ersten Mal in meinem Leben. Nur so emanzipiere ich mich und kann dann hoffen, dass wir auf anderen Wegen zusammen finden. Darauf hoffe ich, ganz tief in meinem Innern. Denn – ein Leben ohne ihn kann ich mir nicht mehr vorstellen! So wird wohl ein großer Umweg, ein Neubeginn, hoffentlich zum glücklichen Ende für mich und für uns beide führen. Also „Kopf hoch Kleines„, würde Marc sagen, du bist nicht allein.

So, nun ab nach Hause. Marc wartet auf mich. Dann gibt es von ihm selbst gebackene Waffeln, dazu Puderzucker und Eis …

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