Müde reibe ich mir die Augen. Wie spät ist es? 18:15 Uhr zeigt mein Wecker an. Oh ja, los aufstehen, auch wenn ich keine Lust habe. Diese Woche bestand mal wieder aus 6 Arbeitstagen, mein Wecker hatte stets 5 Uhr geklingelt. Mein Tag im Labor heute ging bis 15 Uhr. Danach war ich in meiner Stamm-Pizzeria vorbeigehuscht und von dort mit vollem Bauch direkt ins Bett. Mir fielen sofort die Augen zu. Sie nun wieder aufzubekommen fiel schwer. Klar, ich könnte auch einfach zu Hause bleiben, statt zum „Adidas City Night“-Lauf zu fahren um dort zu laufen. Aber nein! Ich möchte ja laufen … wenn ich erst mal richtig wach bin … Moment … gleich …
Torkelnd gehe ich ins Bad. Der Spiegel verspricht nichts Gutes. Na ja, einfach nicht hingucken, denke ich mir. Es gibt doch da diesen „Klospruch“ aus dem Buch „Klo-Poesie für alle Lebenslagen“, der lautet: „Drei Spiegel in meiner Wohnung und KEINER funktioniert. So ungefähr fühle ich mich … Schlürfend laufe ich durch meine riesige Wohnung, in der Kinder fantastisch Verstecken spielen können. Meine Mädels sind allerdings schon zu groß dafür und die Kleine, Maya, na ja allein macht das keinen Spaß. Außerdem ist sie gerade für drei Wochen bei ihrem Papa. Welch ein Luxusleben für mich. Ein Wechselmodell in Bezug auf die Kinderbereuung hat doch durchaus etwas für sich. Ich schlurfe weiter durch die Wohnung. Selina zockt in ihrem Zimmer just World of Warcraft. Sie redet währenddessen mit einem Freund am anderen Ende der Stadt und sagt, was er tun muss. Selina ist schließlich WoW-Profi und ihr Kumpel benötigt Tipps, um sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Dieses Spiel habe ich auch ein paar Jahre gespielt. Mensch ist das lange her … jetzt laufe ich lieber real durch meine reale Welt, statt als Schamanen-Taure durch Mulgore. Apropos laufen – ich musste mir noch meine Startnummer abholen. Dann checke ich jetzt mal meine „to does“ und stelle fest – herrje – bis 19:30 Uhr muss ich meine Nummer vom Karstadt-Sport Kaufhaus am Ku´damm abgeholt haben. Es ist jetzt 18:30 Uhr!
Verdammt das wird knapp. Ich muss mich jetzt zusammenreißen und packe meine sieben Sachen für den Lauf, während ich meine Klamotten anziehe. Dabei grüble ich darüber nach, was ich in der einen Stunde vom Nummern abholen und bis zum Start machen soll. Eine Stunde, Himmel, brubble noch in meinen nicht vorhandenen Bart und packe weiter. Eine Viertelstunde später bin ich fertig. Kopftuch auf, Shorts und Top an und meine „Speddy Conzalas“ Laufschuhe an den Füßen. So es kann los gehen – mit Musik auf den Ohren, die mich wach machen soll und mich später in meinem Leben wahrscheinlich schwerhörig werden lässt, da ich zu oft und zu laut Musik höre. „Bye Selina“, rufe ich durch die Tür gehend, meinen Popo in Richtung U2 bringend und fahre bis zum Bahnhof Zoo. Hier ist schon alles voller Läufer. Die Stadt ist warm und der Tag neigt sich seinem Ende zu. Genau vor einem Jahr war ich hier, um 5 Kilometer zu laufen. Es sollten die schnellsten und traurigsten meines Lebens bleiben. Vor einem Jahr war ich dem Schmerz, der Trauer und der Wut davongelaufen, die mein Leben bestimmten und die ihren Höhepunkt mit dem Tod Géraldine´s Hündin Luna fand. 24 Minuten für 5 Kilometer – eine schmerzhafte Leistung.
Heute werde ich die 10 Kilometer definitiv nicht so schnell laufen wollen und können. Mit viel Glück, würde ich unter 53 Minuten bleiben. Schon lange trainierte ich nicht mehr so hart wie früher. Damals trieb mich etwas an, was nun hoffentlich für lange Zeit ausblieb, das Unglücklichsein in einer Beziehung. Meine neue Liebe ist unbeschreiblich schön. Eine Fernbeziehung ist nicht einfach, aber sie schafft Möglichkeiten, die nur die Distanz bietet, wie sich zu ausgiebig zu reflektieren, sich Freiräume zu schaffen und die Liebe als ein Geschenk anzusehen und dementsprechend zu pflegen.
Somit war ich heute allein am Start, fühlte mich jedoch sehr wohl. Unsicher, ob ich läuferisch heute Abend etwas „reißen“ konnte oder läuferisch den Abend genießen sollte, musste ich überhaupt erst einmal die Startnummer holen. Ohne die geht gar nix! Kurze Zeit später stehe ich nun da, mit meinen Utensilien für den Lauf, mitten auf dem Breitscheidplatz. Es ist 19:15 Uhr. Was tue ich jetzt über eine Stunde lang? Ich schaue mich um. Überall Menschen, Musik, Trubel, gute Laune. Bleibe ich hier und schaue mich um? Keine schlechte Idee. Ein anderer Gedanke poppt jedoch immer wieder hoch: Fahr doch einfach noch einmal nach Hause!!! Geh dort auf´s Klo (kein DIXI!), lass alle Sachen zu Hause, fahr zurück und – starte einfach! Den Gedanken lasse ich noch ein paar Minuten in meinem Kopf kreisen, währenddessen schaue ich mich schon mal nach dem Weg zur U-Bahn um, laufe dabei direkt an Kai Pflaume vorbei, ohne mich auf ihn zu stürzen – „Kann ich ein Foto haben … “ und entscheide mich nach Hause zu fahren. Kurz überprüfe ich die Zeit. Es ist 19:30 Uhr. Das passt. Auf geht’s … Husch, husch. Zu Hause angekommen gehe ich auf die Toilette. Dann sortiere ich Handy, Kopfhörer, Geld und Schlüssel in meine kleine Hüfttasche. Was da alles so reingeht, verrückt. Ein tolles Geschenk vom Marc. Schwuppdiwupp und schon bin ich wieder aus der Wohnungstür. Dabei hauche ich meiner Selina, die immer noch WoW „Ich habe dich lieb“ zu und schließe die Tür.
So, Showtime. Mit Musik den Ohren fokussiere ich mich. Per U2 geht es zurück zum Bahnhof Zoo und von dort aus mit einem Katzensprung zum Start der Adidas City Night. 20:30 Uhr starte ich – entspannt, ohne Anstehen am Klo oder der Gepäckabgabe … wie cool ist das denn. Nachteil der Sache, ich habe mich NULL warmgemacht. Wer schnell sein möchte, sollte sich unbedingt ein wenig einlaufen, kurze Sprints einlegen und sich dehnen. So Frau Grimm, das alles haben Sie NICHT gemacht. Was nun? Trotzdem schnell laufen oder langsam. Naaaaa?! Was nun!? Gute Frage. Ich bin die letzten zwei Läufe, die 30 Kilometer in Schwerin und den Havellauf mit 13,7 Kilometer, in jeweils hervorragenden Zeiten gelaufen. Mein Training in letzter Zeit war, sagen wir ausreichend, wenn auch nicht optimal. Und das heißt jetzt was? Ja gut – also – ich laufe … auf Zeit! So, nun ist es abgemacht. Mögen mich meine Füße so schnell tragen, wie sie können … Die ersten Kilometer laufen sich gut. Ich finde kein optimales Schritttempo, dafür ist es zu voll, aber ich spüre meinen kraftvollen Körper sich gut mit der Straße verbinden. Meine Füße lösen sich leicht vom Boden, mein Kopf ist frei, die Stimmung an der Strecke super! Die Musik treibt mich voran. Alles steht auf grün. Die warme Temperatur dieses Sommerabends ist auszuhalten, die Wasserversorgung an der Strecke supi und ich bin dieses Jahr NICHT durstig losgelaufen. Das war 2016 ganz anders, meine Kehle war schon vor dem Start trocken. 😉
Wirklich positiv zu bemerken ist, die Kilometeranzeigen sind GIGANTISCH groß. Letztes Jahr waren sie so klein, dass ich sie (wie viele andere Läufer) glatt übersehen hatte und vollkommen orientierungslos gelaufen bin. Ein echt blödes Gefühl. Heute ist das anders. Riesige pinkfarbig beleuchtete Würfel stehen am Straßenrand und zeigen freudestrahlend die absolvierte Strecke an. Bis zum fünften Kilometer ist bei mir alles gut. Die Beine laufen, ich schnaufe, fühle mich aber gut, trotz einer Pace von um 5:15 … Ich nutze jeden Versorgungsstand, trinke Wasser und gehe ein paar Meter. Alles ist gut. Bis dahin.
Dann plötzlich merke ich, dass mir die Luft ausgeht …. pfffffffuuuu…. wie bei einem Luftballon …. Mist 🙁 Bei dieser Pace werde ich nicht bleiben können, sagt der Kopf. Mein ganzer Körper stimmt bereitwillig ein! Hey, jetzt mal nicht so schnell aufgeben, sagt mein tapferes Herz, weiß aber im tiefsten Innern, dass mein Kopf, inklusive Körper, recht hat. Ich nehme ein bisschen Tempo heraus und versuche mich zu entspannen, so nach dem Motto „schöne Sommernacht, wo dir das Herze lacht …“ Jedoch, ehrlich gesagt bin ich enttäuscht von mir. Ein bisschen. Wiederum weiß ich, das es töricht ist, enttäuscht zu sein. Mein Körper kann nur das geben, was er in der Lage ist, zu geben. Wie kann ich da traurig sein? Hier zu sein, gesund und glücklich ist doch in der Tat das Wichtigste! Die ganze Zeit atme ich schon durch den Mund, die Luft ist warm, verdammt warm. Mein Mund ist trocken und mir schmerzt etwas die Speiseröhre, die seit der dritten Schwangerschaft massiv gelitten hat. Mein Reflux-Problem holt mich immer wieder mal ein. Hoffentlich entwickelt sich da nicht irgendwann das mit dem bösen K-Wort. Am besten nicht darüber nachdenken, schon gar nicht während eines Laufes, denke ich. So wird das nie was …
Ah eine Versorgungstation! Ein Schluck Wasser tut gut. Nun aber weiter. Allerdings ist die Frage, wie. Mein Körper lässt sich kaum motivieren mehr zu geben. Mein Geist ist nicht willig, sich einfach nur zu freuen. Pffffff … ja die Luft ist raus aus dem Ballon. Definitiv. Es hilft nix. So schleppe ich mich bis Kilometer 8. Dann habe ich keinen Bock mehr. Auch die ambitionierten Zurufe der Adidas Runners und die Samba-Bands am Straßenrand können daran nichts ändern. Die Gänsehaut verschwindet so schnell auf meinem Körper, wie sie entstanden ist. Ungefähr 300-400 Meter gehe ich und bemitleide mich selbst. Dabei widerspreche ich mir auch schon wieder innerlich, weil ich versuche, irgendwie etwas Positives in dem zu finden, was ich hier tue. Da soll mich nun jemand verstehen können, wenn ich doch selbst mit mir Probleme habe. Ich, die Widersprüchlichkeit in Person, ein Wechselwesen 😉 Während ich da so vor mich hin gehe, ist auf einmal wieder Kraft in meinem Körper. Na schau mal einer an, da geht doch noch was. Also ein kleines genüssliches Finish ist auf jeden Fall drin. Der Blick auf meine Sportuhr kann mich jetzt auch nicht mehr schockieren. Die 53 Minuten für die 10 Kilometer kann ich schon mal abhaken. Somit kann ich auch easy going machen. Die letzten 1500 Meter laufe ich bewusst und mental wieder gestärkt. Ich freue mich im Ziel zu sein und nehme meine Medaille strahlend entgegen. Nach 54 Minuten und 15 Sekunden bin ich im Ziel. Ist doch gar nicht schlecht, schließlich entspricht das einer Pace von 5:25 🙂 Oft habe ich zu hohe Ansprüche an mich selbst, dessen bin ich mir durchaus bewusst. „Geht doch, Kleines“, würde Marc sagen.
Im Ziel sind viele strahlende Gesichter, Selfies werden gemacht. Die Stimmung an der Strecke ist summer in the city like: die Musik cool und sexy, die Nacht bunt, laut und jung. Da wäre noch einiges drin … allerdings nicht für mich. Die geplante Partynacht im „Kitty“ habe ich schon bei meinen Freunden abgesagt. Ich für meinen Teil bin für diesen Tag am Ende. Ich zücke mein Handy und rufe bei Marc an. „Na wie war es?“ fragt er begeistert. „So … mittel… antworte ich …“ Unser Gespräch dauert bis ich mit der U2 am Potsdamer Platz angekommen bin. Hier verabschiede ich meinen Mann und gehe in Ruhe auf der Leipziger Straße durch die laue Sommernacht in Richtung Heimat. Berlin bei Nacht ist einfach unbeschreiblich schön.
Fazit zum Lauf: Die Stimmung des Laufes ist immer summer like, was den Ku´damm betrifft. Der Rest ist eher etwas „trocken“. Der neue Sponsor des Laufes, Adidas, reißt einiges, was die Stimmung betrifft. Trotzdem bleibt es nur mäßig euphorisch im Mittelteil der Strecke. Was den Sponsor an sich betrifft, so finde ich, wirkt mir das Engagement teilweise zu ambitioniert. Wir sind nicht alle jung, sexy, laut und schnell. So wirkt die Message von Adidas auf mich.
Fazit zum Tag: Ich bin nicht immer schnell und sexy. Manchmal bin ich still und unscheinbar … und das ist gut so.
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