29. November 2016 Arendsee Mutter-Kind-Kur
Epilog meines Buches „33 laufende Geschichten“
Danke an alle Mitarbeiter der Kurheimes. Danke an die tolle Truppe des letztes Durchganges des Jahres 2016.
Ich betrete mit meiner Tochter Maya das Gebäude des Mutter-Kind-Kurheims
Ein Mitarbeiter des Hauses hatte uns vom Bahnhof Wittenberge abgeholt. Jetzt stehen wir hier mit unserem riesigen Koffer und werden von einer Dame der Rezeption begrüßt. Die Telefonate, die ich bis dato mit dem Haus geführt hatte, waren immer freundlich und zufriedenstellend. Ein ungutes Gefühl hatte ich damals trotzdem schon.
Das Haus wird vom Deutschen Roten Kreuz getragen, das verspricht nicht viel, schließlich haben solche Institutionen nicht viel Geld und leben oft von Spenden, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Freundlich ist die Dame jetzt auch. Aber nach den ersten zwei, drei Sätzen entgleiten mir alle Gesichtszüge.
„… Frühstück morgen 7:35 Uhr … sie sind im zweiten Durchgang, in der nächsten Wochen frühstücken sie um 7:00 Uhr …“.
Das sind Sätze, auf die ich gewartet habe. Neben der Rezeption etwas abseits gibt es eine Zeichnung mit dem abgebildeten Kurheim und dem Spruch: Hier beginnt das bessere Leben … für mich definitiv nicht, das steht schon mal fest!
Eine zweite Dame führt uns zu unserem Zimmer. Wir müssen kurz mit dem Fahrstuhl in die 2. Etage fahren und durch einen langen, dunklen Gang laufen, dann sind wir da. „Zimmer 214. Bitteschön.”, sagt die Dame und führt uns hinein. Ich bekomme den nächsten Schock. Es riecht entsetzlich nach irgendeinem mir unbekannten Desinfektionsmittel … igitt … igitt … igitt … Die Dame verabschiedet sich und bittet mich, Wünsche an sie weiterzugeben, falls ich welche hätte.
Oh, ja … habe ich … allerdings wird sie mir diesen Wunsch nicht erfüllen können. Somit streiche ich den Gedanken.
Für einen Moment habe ich das Gefühl, einem Anfall von Heulerei nachkommen zu müssen,
unterdrücke diesen aber wieder. Geheult wird hier nicht! Ich habe dieses Jahr schon ganz andere Dinge durchgemacht und keine Lust mehr auf Tränen. Schluss damit! Zum Glück kommt mir ganz unverhofft meine Tochter zu Hilfe. Sie hat bis jetzt nichts gesagt, sondern immer nur neugierig und aufmerksam zugeschaut und zugehört. Tatsächlich beginnt sie in „ihr Zimmer“ zu gehen und es freudig zu betrachten. Ihr gefällt, was sie sieht und erstaunlicherweise nimmt sie, die sonst immer schnell die Nase rümpft, den komischen Geruch aus dem Bad nicht war. Stattdessen schnappt sie sich ihre Tasche und den mittlerweile aufgeschlagenen Koffer und beginnt ihre Sachen in den Schrank zu verstauen. Ich muss tatsächlich schmunzeln. Dieses kleine Wesen, was sehr oft meckert, nörgelt und herumzickt, ist glücklich! Davon beeindruckt lasse ich mich rücklings auf mein Bett fallen und versuche, die positive Stimmung von Maya aufzusaugen.
Tja nun bist du hier, Diana! Du wolltest und brauchst diese Kur unbedingt. Du warst von Anfang an skeptisch, was das Kurheim betrifft. Der erste Eindruck hat sich bestätigt, was soll’s. Lass dich positiv überraschen und genieße die 3 Wochen, die du nun mit deiner Tochter hast!
Ja, liebe innere Stimme. Du hast Recht. Dann mal los …
Ich fühle mich in Sekundenschnelle 35 Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt,
meine guten Vorsätze muss ich erst noch einmal über Bord werfen, nachdem ich den Speisesaal betrete. Wie in einem FDGB-Heim fühle ich mich, als Kind war ich ein paar Mal mit meiner Mutter in einem solchen. Wer in der ehemaligen DDR groß geworden ist, weiß was ich meine. Ein großer Saal, ein kleines sehr überschaubares Buffet, alles spartanisch eingerichtet. Es gibt Tee und Wasser zum Abendbrot, Graubrot, als Belag Teewurst, Leberwurst, Scheibenkäse … alles schon halb leer … es ist laut im Speisesaal. Helles Neonlicht scheint von der Decke …
Am kleinen Tresen der Küche steht eine Frau, die Würstchen verteilt. Maya liebt Würstchen, also stellen wir uns an.
Als wir dran sind, springt sie wie ein Pingpongball auf und ab, währenddessen ruft sie strahlend: „Ich möchte 3 Würstchen!“ „Es gibt nur 1 Würstchen pro Person. Wie viele Personen sind sie? Zwei? Dann kriegen sie 2 Würstchen!“ sagt die Küchenfrau unwirsch. Maya und ich schauen uns entsetzt an und ich reiche der „freundlich” dreinschauenden Dame meinen Teller. Danach hole ich mir eine Tasse Tee, für Maya stilles Wasser und setze mich mit ihr an einen kleinen Tisch am Rand des riesigen Saales. Hier sitzen wir nun mit Hagebutten-Tee, stillem Wasser und zwei Würstchen auf dem Teller, frei nach dem Motto: „Hier beginnt das bessere Leben” … tja, schlimmer kann es ja jetzt auch nicht mehr werden.
„Morgenstund hat Gold im Mund …“
In diesem Sinne beginne ich den nächsten Tag. Der widerliche Geruch im Bad macht es mir jedoch gleich wieder schwierig, mich hier wohlzufühlen. Oh Mann, das wird hier eine wirkliche Herausforderung! Ich wecke Maya. Sie freut sich und zieht sich sogar ziemlich schnell um. Hey, die Kleine ist putzig. Sonst macht sie mir das Leben morgens recht schwer. Nun stehen wir wieder in diesem riesigen Speisesaal, Kinder rennen kreuz und quer, es gibt rufen, weinen … okay … tief durchatmen und einfach eintauchen. Teil des Ganzen werden, dann wird es leichter.
Ich nehme ein Tablett und gehe festen Schrittes mit Maya auf das Buffet zu
Die Auswahl ist nicht üppig. Brötchen, Butter und Honig genügen uns jedoch fürs Erste. Beim Frühstück scannt Maya schon mal die Mädels in ihrem Alter und wird fündig. Cool, Maya ist angekommen! Ich schaffe das auch noch.
Nach dem Frühstück bringe ich Maya in die Kinderbetreuung, die „Kinderburg“. Dort wird sie die nächsten 3 Wochen in der „Feengruppe“ sein. Das ist doch mal was! Feen gehen bei Maya immer. Das Mädchen, was sie beim Frühstück kennengelernt hat, ist auch in ihrer Gruppe. Perfekt!
Als nächstes folgt der Termin bei meiner Kurbegleiterin, einer Psychologin. Sie begrüßt mich herzlich. Ihr junges, offenes Gesicht lässt mich entspannen und zum ersten Mal das Gefühl entwickeln, dass hier noch alles gut werden könnte. Nachdem sie sich vorgestellt hat und mich fragt, was ich mir für die Kur wünsche, kann ich loslassen. Alles was geht, erzähle ich ihr. Von meiner gescheiterten Ehe, meinem Mann im Speziellen, den Selbstmordgedanken, den Problemen mit der Trennung, den finanziellen Sorgen, von unserer Tochter Maya, der dann neu eindeckten Liebe zum Leben, meiner Liebe zum Laufen. Sogar von meinem Lauf-Blog erzähle ich ihr.
Nach der einen Stunde bin ich zuversichtlich
Wir verabschieden uns und ich freue mich auf das nächste Gespräch. Nun steht der Termin beim Arzt an. Die medizinische Versorgung muss ja bei einer Kur auch gewährleistet sein. Bei mir ist es hauptsächlich die Rücken-, Schulter- und Halspartie, die mir Sorgen macht. In den Rezensionen für die Kureinrichtung wurde in hohen Tönen von der Physiotherapie gesprochen.
Hm, vielleicht halten die dort, was andere versprechen. Die Arzthelferin empfängt mich mit einem Lächeln und nimmt mich gleich unter ihre Fittiche. Blutdruck, Größe, Gewicht, alles wird erfasst. Die Waage, so habe ich das Gefühl, stimmt nicht ganz. Mit 57,5 Kilo bin ich ganz schön schwer. Zu Hause ist meine Waage netter zu mir, allerdings hatte ich jetzt Klamotten an und habe gefrühstückt. Na, wird schon passen. Ich werde ins Arztzimmer aufgerufen.
Mich empfängt eine ältere, grauhaarige, kleine, zarte Frau
Sie grüßt leicht unterkühlt. Sie erinnert mich spontan an die Ärzte aus der ehemaligen DDR. Denn die, die ich als Kind und Jugendliche kennenlernen durfte, waren stets Respektspersonen, die sich weder in die Karten schauen ließen, noch Zweifel an ihrer Arbeit duldeten. Sie wirkt auch ein wenig so, aber vielleicht ist das auch nur eine Tarnung, um mit den vielen Menschen und deren Schicksal in den drei Wochen Kur, Monat für Monat und Jahr für Jahr umgehen zu können.
Meine manuelle Therapie bekomme ich verordnet, die freie Zeit zum Laufen auch. Da ich körperlich fit und somit auch nicht übergewichtig, benötige ich keine weitere Therapie oder Beratung. Regelmäßig Wirbelsäulen-Sport und physiotherapeutische Behandlung reichen jedoch vollkommen aus, um den Tag schon fast auszufüllen.
Am nächsten Morgen passiert etwas Magisches
Nachdem ich Maya in die Kinderburg gebracht habe, schnüre ich zum ersten Mal hier bei der Kur meine Laufschuhe. Es zieht mich zum Arendsee, den ich mit Maya am Tag zuvor schon einmal kurz erkundet habe. Ich setze meine „Mickey Mäuse“ auf und lasse mich von Christmas-Pop-Songs berieseln. Schon mit dem ersten Schritt in den Wald, auf dem Weg zum See, fühle ich mich sehr wohl.
Die Luft ist frisch, die Sicht im Wald verschlafen, leicht neblig und somit feenhaft. Ich höre gerade „Wonderful Dream“ von Melanie Thornton, als ich in Sichtweite des Sees komme. Ein Gefühl vollkommener Glückseligkeit überströmt meinen Körper, Tränen laufen unkontrolliert aus meinen Augen.
Mein Gott, was ist denn mit mir los?
Für einem kurzen Moment muss ich einfach weinen, hemmungslos! Ich breite die Arme aus und drehe mich mitten auf dem Weg … ich vergesse mich vollkommen. Glücklicherweise kommt hier in der Woche kaum jemand vorbei, denke ich später. Wahrscheinlich wäre es mir auch egal gewesen. Ich genieße es, dass bei mir plötzlich wie aus dem Nichts ein Film abläuft … mein Film!
Ich bin der Darsteller, die Szene läuft und tatsächlich ist da Musik, wie im Kino! Hier und jetzt beschließe ich, dass ich mit diesem Jahr, meinem frühere Leben, mit meinem baldigem Ex-Mann und allem Dazugehörigen abschließen möchte. Ich möchte um diesen See laufen, MEINE Filmmusik hören und die Szenen MEINES Kinostreifens selbst schreiben und „spielen“. Was es für ein Film es wird, weiß ich natürlich noch nicht, aber er beginnt romantisch, träumerisch und voller Hoffnung … Das Laufen wird auf jeden Fall eine Schlüsselrolle spielen, die Geschichten dazu auch …
Fortsetzung folgt …
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Zu diesem Gefühl haben wir aber auch beigetragen ….
Ja, habt ihr definitiv!
Ganz liebe Grüße
Und das sehr gerne ??
Viele Liebe Grüße
Liebe Grüße zurück 🙂