Der Text, geschrieben von meiner Mama, ist zitiert aus der Hochzeitszeitung von 2009 (Heirat mit Michael Grimm am 12. September)
Seit dem November 1974 wohnten wir in Berlin, genauer gesagt im Hinterhaus der Karl-Kunger-Straße 15 in Berlin Alt-Treptow. Als wir aus Gaschwitz, einem kleinen Nest bei Leipzig wegzogen, war Diana 3 Jahre alt. Hier ist sie von allen Mitbewohnern des Hauses und vor allem ihrer Oma immer sehr umsorgt worden. Und wer jemals das Nest bei Leipzig besucht hat, weiß, dass da nichts ist. Hier sagen sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ und ab 21 Uhr werden die Fußsteige nach oben geklappt.
Inmitten einer belebten Einkaufsstraße Treptows lag die neue Wohnung. Von hier, über die Bouchèstraße und die Puschkinallee führte der Weg zum Kindergarten. Auch heute noch stehen entlang der Bouchéstraße die alten Kastanienbäume. Der Fußweg, aus gelegten Steinen, führt an den Bauten einer Kaserne und den dazugehörigen Wohnhäusern aus rotem Backstein entlang, deren Umgrenzung aus einem Mauersims mit schmiedeeisernen Zaun bestand. Dieser Zaun allerdings war so mit Holzplanken versehen, dass jeder Einblick auf das Kasernengelände verwehrt wurde. Nun, zu guter letzt gab es hier auch das zuständige Polizeirevier.
Wer die Puschkinallee in Treptow kennt, der weiß, dass sie in Richtung Westen plötzlich an der Mauer endete. In Richtung Osten führt sie zum Treptower Park. Auf der Puschkinallee stehen sehr viele Platanen. Die villenähnlichen Häuser werden geschmückt von grünen Vorgärten. Kleine grüne Inseln lockern die Allee auf. Eine Straße, die durch ihr Äußeres schon darauf hinweist, das sie zum Treptower Park führt. Hier, an der Ecke zur Elsenstraße stand und steht der Kindergarten. Von unserer Wohnung bis zum Kindergarten ist es ein Fußweg von höhstens 15 Minuten. Für Kinder, deren Füße und Augen immer neues entdecken und erobern, dauert der Weg etwas länger. Mutti und Vati müssen immer wieder zur Eile mahnen und Versprechungen abgeben, ein anderes Mal die Möglichkeit des „Astlochkuckens“ * zu gewähren.
Die Episode, die wir erzählen möchten, passierte im unmittelbaren Umfeld dieser Straße, in der Eile des morgendlichen Weges zum Kindergarten. Mutti hatte etwas für sie Wichtiges zu Hause liegen lassen. Was machen? Die Kinder wieder mit zurück nehmen oder sie auffordern, den Weg zum Kindergarten allein weiterzugehen? Die Entscheidung fiel zugunsten der zweiten Variante unter der Ermahnung langsam zu gehen, aufmerksam zu sein, bis Mutti sie wieder eingeholt hat.
Als Mutti sich wieder auf den Weg machte schien noch alles in Ordung zu sein. Die Kinder waren nirgenswo zu sehen, allerdings auch nicht im Kindergarten. Es blieb nichts anderes übrig, als die Polizei einzuschalten. Also Mutti ins Polizeiauto gesetzt und das Gebiet zwischen Wohnhaus und Kindergarten weiträumig abfahren. Die Kinder waren nirgendwo zu entdecken und das Herz der Mutter sank in immer tiefere Tiefen ihrer mütterlichen Seele.
Erneut im Kindergarten angekommen, schweren Herzens die Stufen erklimmend, kam der Mutter die Kindergärtnerin bereits entgegen. Die zwei „Ausreißer“ waren angekommen, heil und unversehrt. Diana, stolz ihre Verantwortung so gut erfüllt zu haben, nämlich ihren kleinen Alexander langsam zu Kindergarten zu bringen und dabei aufmerksam zu sein. Das alles hatte sie zustande gebracht. Sie war so aufmerksam, dass sie den kleinen Umweg über die Hoffmannstraße, von einem unserer Spaziergänge noch in Erinnerung behalten hatte und diesen Weg bewusst wählte, um die Ankuft im Kindergarten etwas hinauszuzögern. Warum Mutti vor Freude weinte und gleich die Polizei mitbrachte, verstand sie erst viel später.

Dort bin ich oft vorbei gelaufen, auf dem Weg nach Hause oder zum Bahnhof Treptow. In der Straße gab es an der Ecke eine Sparkasse (wenn Mama dort anstand haben wir kleine Bankzettel mitgenommen, um damit zu Hause zu spielen), eine Eisdiele in der wir als Kinder oft waren und einen Fischladen mit lebenden Fischen zu Verkauf.
* Anmerkung: „Astlochkucken“ – bedeutet das Durchschmulen durch die kleinen Astlöchter der Holzplanken am Zaum der Kaserne, in der mein Papa als Drucker bei den Grenzgruppen der Nationalen Volksarmee arbeitete. Er wurde nach Rücknahme seiner Kandidatur als Mitglied der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) abgeführt und entlassen.
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