Nr. 25 der 33 laufenden Geschichten
32. Schweriner Fünf Seen Lauf
Freitag, 1. Juli 2016, 7 Uhr
Ausschlafen! Wow, wie schön!
Ich war so müde, dass ich gestern Portugal gegen Polen nicht hab gewinnen sehen. Die 1. Halbzeit hatte ich noch vollkommen knülle, mit einem Radler in der Hand, wahrgenommen. Dann fielen mir doch die Augen zu. Zum Glück hatte ich das Radler vorher ausgetrunken! Also, ab ins Bett, Diana!
Heute Morgen strahlt die Sonne in voller Pracht. Ich tapse in die Wohnstube und mache mir einen leckeren Cappuccino. Im Kühlschrank liegen noch Schokoladenriegel. Super! Ich greife drei gleichzeitig heraus, schalte das Morgenmagazin der ARD an, lege die Beine hoch und genieße den Morgen mit Kaffee und Schokolade. Heute fahre ich nach Schwerin! Endlich oder schon ??? Ich bin mir wie so oft unsicher, was meinen Läuferstatus betrifft.
Das Positive: Ich bin unverletzt, an sich sportlich fit und läuferisch auf jeden Fall ausreichend trainiert. Der Schweriner Fünf-Seen-Lauf soll wunderschön sein. Meine Lauffreunde glauben an mich und wünschen mir alles Gute. Morgen sollen es keine 35°C werden wie letztes Jahr.
Das Negative: Ich habe einfach Schiss. Eventuell soll es morgen regnen.
Die Zusammenfassung ergibt ein klares 4:2!
Wo liegt dann mein Problem? Wahrscheinlich darin, dass ich immer vor solchen ungewissen Dingen ein riesiges Fass aufmache. Wie sagte meine Freundin Melitta zu mir: „Du sagst immer, das wird nichts, und läufst dann Bestzeit.“ Nun ja, Bestzeit geht in dem Fall nicht, da ich diesen Lauf noch nie gelaufen bin, aber ihr wisst schon, was sie meint, oder?
Mittlerweile habe ich meine Tochter in die Kita gebracht, war bei der Kosmetik und beim Friseur. Nun sitze ich im Regionalzug nach Wismar und fahre nach Schwerin. Die Selbstzweifel muss ich jetzt abbauen und sie durch schöne, positive Gedanken ersetzen. Ich fahre zum allerersten Mal allein zu einem Lauf außerhalb von Berlin. Gut!
Ich traue mir zu, 30 Kilometer zu laufen. Gut! Ich bin eine selbstständige, selbstbewusste Frau, Mitte 40. Dreifache Mutter und eine … Läufersau! Das klingt doch schon besser, oder?
22 Uhr
Im Fernsehen läuft die zweite Halbzeit Wales gegen Belgien. Ich sitze am Schreibtisch meines Hotelzimmers und schreibe. Draußen wird es dunkel. So allein im Hotelzimmer, das ist irgendwie nicht so sexy … Mit Gustav und Grit (meine Potsdamer Freunde sind zufällig im selben Hotel und laufen auch) bin ich vorhin losgedackelt. Wir haben unsere Startnummern geholt und sind in einem sehr netten italienischen Restaurant essen gewesen. Bei mir gab es Pasta mit Pesto, davor Bruschetta und zum Nachtisch Panna cotta. Hm, lecker. Wir haben uns sehr schön unterhalten. Auch über morgen haben wir gesprochen. 17°C und Regen soll es geben. Hm, nicht so gute Voraussetzungen! Tja, kneifen gibt’s nicht mehr …
Mal sehen, was der morgige Tag bringt. Ich husche jetzt noch schnell unter die Dusche. Gute Nacht!
Samstag, 2. Juli, 6 Uhr
Ich werde noch vor dem Klingeln meines Handys wach. Draußen ist es hell. Ich höre draußen ab und zu eine Möwe rufen. Ach ja, wir sind ja am Wasser. Tatsächlich habe ich von meinem Lauf geträumt: Auf einmal war ich bereits bei Kilometer 26, alles war easy. Dann begann allerdings das Chaos. Ich musste ja noch meinen Rucksack abgeben (bei Kilometer 26!). Das war ein Durcheinander. Ich musste dabei durch ein Labyrinth. Irgendwann haben wir es auch nach draußen geschafft. Mehr weiß ich nicht mehr …
Ich fühle mich gut. Meine Stimmung ist vorsichtig optimistisch. Vorhin habe ich in den Badspiegel geschaut, mir zugelächelt und gesagt: „Na alles klar, für das große Event?“ Jup, Daumen hoch und ein breites Grinsen habe ich meinem Spiegelbild gezeigt. Meine Laufsachen werde ich mir jetzt zurechtlegen und dann zum Frühstück gehen. Gustav und Grit wollen sich zu mir gesellen.
7 Uhr pünktlich stehe ich am Eingang zum Frühstücksbuffet
Gemütlich zu frühstücken ist mir wichtig. Ein paar aufgeregte Rentner stehen auch schon in ihren Startlöchern. Na, das wird ein spannender Ringkampf um die Brötchen. Nach Freigabe des Frühstücksringes stürzen alle los. Ich suche mir zielstrebig einen Tisch, wo auch Gustav und Grit mit frühstücken können. Dann lasse ich mich in die Stuhllehne fallen und warte auf meinen Kaffee. Leider gibt es hier nur Filterkaffee. Kaffee mit aufgeschäumter Milch schmeckt mir einfach um einiges besser. Egal. Ich gieße mir ein Tässchen ein, gieße die Milch (oder ist das gar fette Kaffeesahne?) in den Kaffee und warte gemütlich auf die anderen beiden. Die lassen nicht lange auf sich warten. In voller Läufermontur erscheinen sie am Tisch. Na dann, Mahlzeit!
Nach dem Frühstück gehen wir noch einmal kurz auf die Zimmer und treffen letzte Vorbereitungen.
Ich sammle alle Utensilien zusammen, die ich brauche: Wechselschuhe, Wechselklamotten, ein bisschen Geld und die Fahrkarte für die Rückfahrt.
Laufen werde ich nach kurzem Entschluss mit einer dreiviertel Tight, kurzem Shirt, wasserfester Weste und wie immer mit einem Kopftuch. In der Weste verstaue ich Traubenzucker und mein Smartphone, die Fahrkarte und die Hotelkarte landen in der Popo-Tasche. Meine Sportuhr binde ich mir um, die ich noch voll geladen und mit dem Smartphone verbunden habe. Diesmal möchte ich, dass alles klappt. Den Transponder habe ich auch schon am Schuh befestigt. Ich bin perfekt vorbereitet! Ich schieße noch ein Foto im Hotelspiegel und motiviere mich, jäh …
8:15 Uhr
Go! Wir warten auf die Straßenbahn der Linie 1, die uns direkt zum Start bringt. Sie fährt ein. Mit ihren kleinen Deutschlandfahnen wirkt sie hübsch dekoriert. Heute ist nicht nur ein wichtiger Tag für mich, sondern auch für den deutschen Fußball. 21 Uhr spielen wir gegen Italien, unser „Trauma“. Ich habe allerdings ein gutes Gefühl. Nach so vielen verlorenen Spielen werden die Deutschen heute gewinnen, da bin ich mir ganz sicher!
8:45 Uhr
Am Startbereich angekommen, steuern wir direkt zu den Toiletten. Grit kennt sich aus, das ist super. Die Schlange ist übersichtlich. So ein zeitliches Desaster, wie zum Potsdamer Schlösserlauf, wird es nicht. Trotzdem dauert es … Das Zeitpolster ist aber noch stattlich. Wir lassen eine Dame, die 9 Uhr über die 15 km startet, sogar vor. Sie freut sich. Klar, machen wir doch gern. Schließlich war ich vor einem Monat auch glücklich, vorgehen zu dürfen.
9 Uhr
Fertig! Ich bin aufgeregt, habe aber irgendwie keine Zeit, das auf mich wirken zu lassen … Denn … es regnet. Nun ja, es regnet schon den ganzen Morgen. Aber das, was jetzt vom Himmel kommt, ist wirklich nicht schön. Schnell suchen wir einen Unterstand … den wir bei der Startnummernausgabe finden.
Tja, jetzt ist es amtlich. Das wird nicht nur eine Herausforderung in Bezug auf die Länge der Strecke, sondern auch in Bezug auf das Wetter. Aber es gibt kein Zurück mehr. Ich bin jetzt hier und ich laufe, da kann kommen, was will.
9:20 Uhr
Wir stehen am Start. Gustav und Grit werden zusammen laufen. Ich werde erst einmal für mich laufen und dann schauen. Das Starterfeld der Läufer über die 30 Kilometer ist recht übersichtlich. Irgendwie komme ich schon zurecht. Wie laufe ich heute? Ganz klar nicht auf Zeit! Puls oder Pace?
Hm, Pace … entscheide ich. Zielsetzung: eine Pace von 6:30 min/km am Anfang und dann wird sich der Rest finden.
Startschuss
„Auf dem Bartha-Klingberg-Platz beginnt nun immer unsre Hatz“, so titelt der Flyer des Organisators des Schweriner Fünf-Seen-Laufes.
Auf geht’s! Ich fasse es nicht. Ich werde jetzt 30 Kilometer laufen … Wahnsinn! Da es lange dauern wird und ich nicht auf Schnelligkeit setze, habe ich natürlich meine Musik auf den Ohren. „Ready to jump, get ready to jump, don´t never look back …“, singt gerade Madonna … YES! Vollkommen beflügelt und schon verdammt nass stürze ich mich in mein Abenteuer!
Zitat vom Flyer (denn besser kann ich es auch nicht beschreiben):
„Der Weg führt dabei entlang der neuen Burgseenpromenade und vorbei an der Siegessäule am Alten Garten zum Hauptportal des Schlosses, dem langjährigen Standort. Die Strecke folgt anschließend weiter, den Schlossgarten rechts liegenlassend, der Lennéstraße. Am Grüngarten teilen sich die Wege. Die 10 km-Läufer folgen der Lennéstraße weiter vorbei an der im 18. Jahrhundert entstandenen und als Museum wieder funktionstüchtigen Schleifmühlen am FAULEN SEE, deren Wasserrad sich wie in jedem Jahr zu Ehren der Teilnehmer drehen wird. Die 15km-und 30km Läufer biegen nach links auf den Franzosenweg (benannt nach hier tätigen französischen Kriegsgefangenen von 1870/71) bleibt die asphaltierte Strecke vorerst flach und führt durch die bewaldete Uferzone zum nächsten Abzweig (etwa 4km), bei dem die „Mittelstreckler“ sich nach rechts durch den Wald um das Gelände des Zoos herum zum Ziel verabschieden.“
„An dem Zippendorfer Strand seid Ihr fünf ka-em gerannt. Weiter geht es auf dem langen Kanten zur Strandpromenade Zippendorf (noch 25km). Von hier führt ein Waldweg am Seeufer entlang zur Mueßer Bucht, wo die B321 berührt aber nicht überquert wird.“
Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich an Gustav und Grit rangehängt. Sie sind auch nur 100 Meter entfernt, und ich finde es albern, bewusst hinter ihnen zu bleiben. Zuvor und währenddessen habe ich kurze Wortwechsel mit anderen LäufernInnen und natürlich auch mit meinen Freunden. Die Pace ist entspannt, also bin ich es auch. Ab und zu nehme ich somit die Musik ab und suche den Kontakt mit anderen, mir ist heute einfach mal so. Schließlich wird man sich noch eine Weile das eine oder andere Mal über den Weg laufen. Bei Kilometer 5 ist alles vollkommen easy. Ich bin eingelaufen und habe das Gefühl, dass die 30 Kilometer heute wirklich machbar sind. Der erste Versorgungsstand wartet auf uns.
„Frühstück!“, rufe ich gutgelaunt. „Was nehmen wir Grit? Kaviar und Champagner?“. Wir trinken nur einen Schluck Wasser und laufen weiter.
Was mir wirklich gut gefällt ist, dass es ab hier Kilometerschilder mit der noch verbleibenden Kilometerzahl gibt. „Nur noch 25Km“ ist äußerst motivierend. Solch eine Beschilderung habe ich noch nicht erlebt und sie wirkt mental sehr positiv. Nur noch 25 Kilometer klingt einfach viel besser als 5 Kilometer absolviert. Solch eine Variante der Kilometerangabe sollte es öfter geben!
„Euch entbietet seine Grüß´ der Schweriner Ortsteil Mueß. Wir biegen gleich wieder nach links in das ehemalige Dorf Mueß ab, dessen Freilichtmuseum das bäuerliche Leben vergangener Jahre veranschaulicht.
Die nächsten Kilometer laufen wir weg wie nix. 24 Kilometer … 23 Kilometer … 22 Kilometer …
Zu Grit sage ich noch: „Das geht ja hier wie´s Brezel backen!“ Mir kommen die Kilometer viel kürzer vor … Das ist Zauberei! Wahnsinn … Der Regen hat zwischendurch nachgelassen. Die Luft ist frisch, der Duft der Gegend wundervoll. Das ist wirklich ein schöner Lauf. Zwischendurch spricht mich ein Mann an: „Kenne ich dich nicht vom AOK After-Work-Run im Friedrichshain?“ Etwas verlegen antworte ich „Kann sein. Da bin ich regelmäßig. Aber es tut mir leid, dich kenne ich nicht.“ Wir tauschen uns noch ein wenig aus, um festzustellen, dass er seit 2016 nicht mehr dabei war. Zeitmangel. Ich gebe ihm den Tipp, es montags in Treptow oder mittwochs im Gleisdreieck-Park zu versuchen. Selbe Zeit 18:30 Uhr. Er bedankt sich. Wir wünschen uns noch gegenseitig einen guten Lauf, dann trennen sich unsere Wege.
„Hier am Burgwall des Reppin siehst du noch einmal Schwerin. Wir halten uns wieder links, um bald rechts zwischen Bauernhäusern den Wiesenweg zum Reppiner Burgwall zu erreichen, eine nur noch an einer Erhebung erkennbare slawische Befestigungsanlage, die heute einen Aussichtsturm trägt. Die kleine Badestelle zu Ihren Füßen gibt noch einmal einen reizvollen Blick auf den Schweriner See und die Silhouette der Stadt frei, die wir vor 10 km verlassen haben.“
Hier nehme ich mir die Zeit und mache ein, zwei Fotos.
Trotz des grauen Himmels ist es ein schönes Bild
Gustav, Grit und ich sind immer noch zu dritt unterwegs. Eine junge Dame mit Pferdeschwanz und Musik in den Ohren bleibt uns auf den Fersen. Ich deute ihr durch „Daumen hoch“ an, dass das okay ist. Ich bin super motiviert und bin ein wenig geschmeichelt, dass wir sie mitziehen. 1 Stunde und 3 Minuten haben wir für die ersten 10 Kilometer gebraucht. Das ist gemütlich und trotzdem schneller, als wir uns vorgenommen haben. Jetzt sind es „nur“ noch 20. Das klingt irgendwie … nicht viel … 20 Kilometer bin ich ja schon gelaufen … also, weiter geht’s.
Zwischendurch sind wir schneller als geplant unterwegs, mal mit 6:20 … manchmal sogar unter 6:00. WOW! Wir sind echt schnell. Grit bremst mich aber etwas „Irgendwann geht es nicht mehr so gut.“ Ja, na klar. Recht hat sie. Aber was soll ich machen? Ich fühle mich wie „Superman“ bzw. Superwoman“
„Durch Elbe und den Wasserlauf der Stör fließt der Schweriner See ins weite Meer. An der südlichsten Bucht der SCHWERINER SEES erreichen wir wieder die Straße und die Erfrischung an der Ruine der Gaststätte „Zur Fähre“, von der wir unter der B 321 hindurch am Ufer des Störkanals entlang laufen, der den SCHWERINER SEE über Elde und Elbe mit der Nordsee verbindet.“
Hier an dieser Passage laufen wir im Gänsemarsch hintereinander,
so schmal ist es. Ich bin vor Grit und lasse mich von Gustav unbewusst ziehen. Die Pace geht weiter runter 5:55 … 5:50 … teilweise 5:45 … Was machen wir hier? Der Regen hat wieder etwas eingesetzt. Aber es ist noch nicht so schlimm … schlimm wird es erst noch …
„Ab dem Lewitzdorf Consrade geht es langsam in die Wade. Der Störkanal grenzt an die ausgedehnten Weideflächen der Lewitz. Wir queren sie nach einer Weile und erreichen das Dorf Consrade, das wir nach erneuter Erfrischung schon bald wieder nach rechts auf steigendem und holprigen Weg verlassen.“
Hier an dieser Stelle geht es auf das freie Feld
und just in diesem Moment auch hinein in den starken Regen, den wir entweder durch den Wald nicht so mitbekommen haben, oder er setzte gerade ein. Wind pfeift uns auch um die Ohren und zwar nicht zu knapp. Was bis hierhin trocken geblieben ist, wird nun nass. Wahnsinn! Das habe ich so noch nicht erlebt. Trotz allem muss ich immer wieder lächeln oder gar lachen, weil ich das so faszinierend finde, was ich mir hier „antue“. Es ist geil, einfach geil, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Es klingt verrückt, aber ich bin happy und total heiß auf diesen Lauf. Am Versorgungsstand bleibe ich stehen und mache Fotos. Solch ein Mistwetter muss ich einfach festhalten. Danach nasche ich gewässerte Banane und trinke etwas Wasser, obwohl ich damit eigentlich schon von oben genug versorgt bin.
So, ab jetzt kann es eigentlich nicht mehr schlimmer werden
Ich bin vollkommen nass. Es geht wieder in den Wald. Wirklich wunderschön ist es, hier zu laufen. Die Luft ist frisch, der Duft nach Wald belebend. Der Himmel beruhigt sich, der Regen lässt nach. Ich fresse die Kilometer … läuft! … auf einmal steht es da … das Schild: „Nur noch 15 Kilometer“. Cool! „Bergfest“! Tja, die anderen 15 Kilometer laufe ich doch auf der „linken Backe“ ab, oder? Ich bleibe kurz stehen und mache ein Foto. Soviel Zeit habe ich, schließlich möchte ich einfach nur diese 30 Kilometer schaffen. So, jetzt Smartphone wieder verstauen und nochmal ein Stückchen Traubenzucker naschen. Das Ding hat sich schon etwas aufgelöst und sieht nicht mehr schön aus. Ich verziehe ganz kurz, leicht angewidert das Gesicht, mache die Augen zu und … wups … schlucke … hm, lecker … wenn man es nicht sieht, ist es gar nicht schlimm … ist ja Zucker … und ich liebe Zucker … So, nun weiter! Dem Ziel entgegen! Grit und Gustav sind immer mehr oder weniger in meiner Nähe.
„Am Fernsehturm zeigt Läuferpose, auch wenn der Zeh sehr drückt der große. Waldwege führen zurück zur Stadt Neu Zippendorf und einer weiteren Verpflegungsstelle wieder begrüßt (noch 12 Kilometer). Über den Berliner Platz wird dieser Stadtteil auf kürzestem Weg durchquert (und über die Fußgängerbrücke erneut der Strand von Zippendorf erreicht …)“
Hier laufen wir den Verpflegungsstand noch einmal in Ruhe an
Jetzt ist es endlich trocken, der Regen hat aufgehört. Ich nehme mir ein Stückchen Banane und Wasser mit Zitrone. Gustav ist auch schon da. Beide warten wir auf seine Frau. Wir grüßen noch ein paar LäuferInnen, denn mittlerweile kennt man sich schon. Na dann, weiter. Nicht zu lange stehenbleiben, sonst wird das Anlaufen schwer. Alles läuft wie am Schnürchen. Weil es so gut läuft, gibt mir Gustav den Rat, mich von ihnen abzusetzen. Er möchte bei seiner Frau bleiben. „Vielleicht schaffst du ja noch die 3 Stunden“, sagt er. Nun mal langsam mit den jungen Pferden! „Nein, auf gar keinen Fall“, antworte ich ihm, setze wieder meine „Mickey Mäuse“ auf und „fliege“ los.
„Zwischen Zoo und Faulem See häufen sich der Läufer Weh. Auf dem uns schon bekannten Weg am SCHWERINER SEE geht es ein kurzes Stück zurück, bis der Kurs links zum Zoo abbiegt und wieder gemeinsam mit der 15-km-Strecke verläuft. Wundern sollte sich man sich hier nicht, wenn hangelnde Menschen von oben auf die Läufer herabschauen, denn der Schweriner Kletterwald (Verpflegungsstelle) wird passiert. Die Strecke führt zum FAULEN SEE und an dessen Ende kommt auch die 10-km-Strecke wieder dazu“
„Ostdorf habt ihr jetzt erreicht, nach dem Tee läufts wieder leicht. Zum dritten Mal wird die B 321 (noch 8 km) passiert und der vierte See, der OSTORFER SEE, erreicht. Diesen sehr stark gegliederten See bleiben wir recht lange treu. An seinen Ufern laufen oder wandern wir vorbei an der Bebauung des Bleicher Ufers, die in den neunziger Jahren anstelle eines Schlachthofes entstand, links abbiegend zum Dwang, einer besiedelten Halbinsel.“
Ab hier habe ich nur einen Gedanken: Ich schaffe diese 30 Kilometer! Da gibt es gar keinen Zweifel!
Mein Körper ist gut in Form. Die Außenseite des rechten Beines signalisiert zwar erste Ermüdungserscheinungen, aber die sind absolut im grünen Bereich. Mir tut nix weh. Ich setze den Fokus auf innen, schalte soweit möglich das Denken aus und laufe. Ich versuche sauber zu laufen. Arme bewegen und nicht starr am Körper halten. Die Brust raus und hoch, nicht einknicken. Füße sauber aufsetzen, Mittelfuß, wenn es geht. Meine Musik passt zufällig auf den Punkt: „Be the one“ von Dua Lipa lasse ich dreimal nacheinander ablaufen, weil der Beat perfekt zu meiner Geschwindigkeit passt. „Schnatterpelle“ bildet sich auf meiner Haut. Ja! Ich rocke diesen Lauf! Ich kann es nicht fassen. Ab jetzt bin ich nicht mehr zu stoppen. Eins, zwei Damen überhole ich noch, sie hängen sich an mich ran … nice … nice … irgendwann sind sie abgehängt. Nicht hunderte Meter weit, aber sie sind auch nicht mehr dicht dran. Geil!
„Schwere wird es nun indess in dem Stadtteil Görries.
Nach dem Unterqueren der Eisenbahnstraße erwartet uns im Ortsteil Görries wieder eine Stärkung (für alle nur noch 5 km). Rechtsabbiegend führt nach kurzer Ortspassage die ab jetzt hüglige Strecke weiter am OSTORFER SEE durch die Kleingartenanlage, bis 2,5 km vor dem Ziel die letzte Tränke genutzt werden kann.
Die beiden letzten Getränkestände lasse ich weg
Wasser hatte ich echt genug. Mein Bauch ist noch ganz voll. Ich benötige echt nix mehr. Jeder Läufer wird hier mit Klatschen erwartet, ich grüße laufend und lächle fröhlich … und bin schon wieder weg … LäuferInnen, die ich jetzt überhole, grüße ich ab diesem Punkt immer, wünsche alles Gute und motiviere uns mit dem Satz: „Wir haben es gleich geschafft!“ Natürlich wissen wir alle, das dicke Ende kommt noch … klar … aber den Berg schaffen wir auch noch!
„In der Ferne grüßt der Pickel, jetzt ist es nur noch ein Stückel
Vor uns liegen die letzten Hindernisse, die pure Gemeinheit: die Lankower Berge im hügeligen Endmoränengebiet (keine Müllberge, wie einige teilnehmende Flachländer vermuten)“
Ja, die Berge haben es wirklich in sich. Ganz fest hatte ich mir vorgenommen, die Berge laufend zu bewältigen. Den ersten Anstieg nehme ich auch so. Aber ganz ehrlich, wozu sich jetzt so quälen. Den nächsten Anstieg gehe ich hoch. Allerdings mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Ich bin total happy …
Ich mache jetzt noch ein paar Fotos. Schließlich möchte ich es fotografisch festhalten, hier oben gewesen zu sein. Zwei Bilder von mir, eines vom Ausblick. Dann nochmal kurz einen Rundumblick. Diana! Du bist hier! Es ist real. Wieder läuft mir ein Schauer durch den Körper. Hm, mancher Sex ist nicht so emotional …
Auf einmal bekomme ich einen Klaps auf den Hintern
Gustav! „Ich denke, du versuchst noch die 3 Stunden zu knacken?“, sagt er. „Nein! Wozu?“, entgegne ich ihm. „Nur ankommen und Spaß haben wollte ich“, erzähle ich weiter, während wir langsam weiterlaufen. Ich habe so das Gefühl, es liegt ihm auf der Zunge, mir zu sagen, wo ich zeitlich stehe. „Ich will es nicht wissen, Gustav!“, sage ich schnell. Diesmal möchte ich es wirklich nicht wissen, nicht mal abschätzen. Hier zu laufen und zu bestehen, ist alles was ich mir wünsche und das kommt selten genug vor. Zielzeiten sind mir oft so wichtig, dabei sind sie im Grunde „Wasserstandsmeldungen“, der Lauf allein zählt.
„Vor Euch liegt der See von Lankow, schwere Atmung wird zum Manko
Von der Höhe der einstigen WM-Moto-Cross-Strecke sehen wir vor uns ausgebreitet den LANKOWER SEE, an dessen Nordufer uns im letzten Anstieg das ersehnte Ziel im Naherholungsgebiet erwartet“
Oh je! Runter ist aber auch ganz übel. Vorsichtig laufe ich die Berge hinunter. Jetzt hier bloß nicht stolpern. Die Beine und Füße sind sehr strapaziert. Ein kurzes Stück Rasen überquere ich noch. Hier steht eine Fotografin. Ich winke und hoffe, dass ein Schuss von mir gelungen ist. Oh ja, so ein Bild möchte ich haben.
Ab hier höre ich den Sprecher im Ziel ganz deutlich. Jaaaaa, gleich da. Noch einmal links und dann bin ich im Ziel. Ich laufe auf eine große Wiese zu, es sind vielleicht noch 200 Meter zum Ziel. Links und rechts stehen ein paar Menschen und applaudieren.
Mein Körper und mein Geist sind ein einziges emotionales Feuerwerk
Am Ziel! Immer noch nicht fassbar für mich! Der Sprecher am Ziel kommentiert meinen Zieleinlauf. Ich reiße die Arme hoch und juble. Die Zielzeit kann ich jetzt endlich lesen, vorher war sie noch sehr unleserlich. 3 Stunden und 4 Minuten steht da in roten digitalen Zahlen. WAS?! Nein, das kann ja gar nicht sein! So schnell? Nochmals reiße ich meine Arme hoch und durchlaufe jubelnd das Zieltor. Ein Traum ist wahr geworden, die 30 Kilometer von Schwerin sind bezwungen. Mit vielen positiven Emotionen und einer verdammt geilen Zeit!
Nach einem alkoholfreien Bier, einem Apfel, Nudeln Bolognese, Eis und einer entspannenden Massage machen wir uns ungefähr eine Stunde nach Zieleinlauf in Ruhe auf den Weg ins Hotel. Meine Freunde und ich laufen zusammen zurück. Am „Pfaffenteich“ machen wir noch eine Kaffeepause, bevor wir dann endlich im Hotel ankommen. Jetzt bin ich doch ziemlich fertig und bemerke erste Nachwirkungen des Laufes. Stufen runterlaufen und vom Sitzen hochkommen fällt schwer. Tja …
15 Uhr
Im Hotelzimmer angekommen, falle ich sofort in mein Bett und schlafe unfreiwillig ein. Eigentlich wollte ich erst duschen. Gegen 17 Uhr werde ich wach. Oh je. Das ist spät. In Ruhe duschen muss jetzt aber noch sein. Ups, nur nicht zu schnell aus dem Bett. Meine Achillessehnenansätze sind schon etwas steif.
Ich massiere sie ein bisschen und humple unter die Dusche. Da sitze ich lange drin … nur kein Stress …
18 Uhr
Gustav, Grit und ich gehen auf die Pirsch, um ein leckeres Abendessen zu genießen. Nach langer Suche werden wir auch fündig. Ich bestelle mir ein großes Bauernfrühstück. Oh ja, das ist lecker. Dann bummeln wir noch durch die Stadt. Wir sind jetzt schon wieder entspannter zu Fuß unterwegs.
20 Uhr
Ich mache mich auf zum Läuferball. Meine Freunde bringen mich noch hin. Sie selbst nehmen nicht daran teil. Also muss ich allein da reingehen. Nun ja, dann mal tapfer sein … Der Saal des Hotels „Elefant“ ist wunderschön geschmückt. Die Musik und die Atmosphäre erinnern mich an meine Disco-Zeit. Ja, ist nett hier. Ich setze mich an den Tisch von netten, sympathischen Schwerinern, die beim 10 Kilometer-Lauf mitgemacht haben. Nach einiger Zeit gehe ich auch tanzen. Die Musik lädt wirklich zum Tanzen ein. Leider bin ich allein, ohne Partner. Das bemerke ich jetzt irgendwie besonders. Solch einen Tag hätte ich gern mit jemandem an meiner Seite geteilt. Wie Grit und Gustav. Nun ja, das ist nicht zu ändern, aber verkriechen werde ich mich deshalb bestimmt nicht.
21 Uhr
Deutschland gegen Italien. Das Fußballspiel ist die kleine Krönung des Tages. Die regulären 90 Minuten schaue ich zusammen mit den Schwerinern im „Elefant“. Dann mache ich mich auf den Weg zum Hotel und bin mit Glück auch ganz schnell da. Die Verlängerung des Spiels sehe ich vom Hotelbett aus und teilweise schlafe ich ein. Mein Akku ist einfach leer. Erst NACH dem ersten Schuss des Elfmeterschießens bin ich wieder wach. Puh … verdammt … das wird nun aber noch knapp! Ich bin doch so fest davon überzeugt gewesen, dass die Deutschen das schaffen. Jetzt bin ich wieder wach und drücke die Daumen. Das Elfmeterschießen will kein Ende haben. Mein Gott, ist das spannend! Aber dann doch … endlich … die Deutschen haben es geschafft.
„WIR“ sind im EM-Halbfinale! Ende gut, alles gut! Was für ein cooler Tag! Na dann, gute Nacht!
Wow sehr spannend geschrieben! Besonders beim Einlaufen ins Ziel hat man echt mitfiebern müssen.
Eine weitere tolle Geschichte!
Weiter so!!
Danke liebe Géraldine für deinen Kommentar.
Ich werde mich bemühen, weiter spannende Geschichten zu schreiben.
Liebe Grüße Diana