Nr.19 der laufenden Geschichten

3. April 2016 – 36. Berliner Halbmarathon

Es war mal wieder ein großes Durcheinander …

… bei mir. Wie sooft in meinem Leben. Allerdings war diesmal wirklich ein riesiges Durcheinander …
Der Anfang war jedoch eher unspektakulär. Ende Dezember ging der Vorbereitungskurs „31.000 Schritte“ von der AOK Nordost für den Berliner Halbmarathon in Form eines Laktat-Testes los. Die Werte waren gut. Eigentlich sehr gut.
Dann kam Weihnachten und der Jahreswechsel. In dieser Zeit konnte ich nicht viel laufen, mein Knie meckerte etwas. Zum Glück hatten wir während unserer Familien-Reise zwischen den Jahren ein Schwimmbad im Hotel. Während unsere kleine Tochter im Wasser spielte, absolvierte ich ein selbst erdachtes Aqua-Fitnessprogramm mit Kraft-und Ausdauer-Workout. Jeden Tag brachte ich so eine Stunde im Schwimmbad zu. Dazu fuhr ich ein bisschen Rad auf dem hoteleigenen Hometrainer und saunierte täglich. Stabilitätsübungen und Koordination, sowie Stretching kamen dazu. Was soll ich sagen, nach dem Jahreswechsel waren meine Probleme am Knie weg. Jupp!

Am 4. Januar …

… traf ich mich mit Mark, meinem Lauffreund, um das neue Jahr läuferisch zu beginnen. Dumm nur, dass wir ausgerechnet in diesen Tagen Minusgrade hatten und das nicht zu knapp. Minus 10 waren es an dem Morgen. Mark und ich liefen trotz allem los. 1 Stunde MDL stand auf dem Programm. Der Lauf fühlte sich für mich komisch an. Ich war irgendwie nicht gut drauf. Bei unserem gemeinsamen Frühstück danach wurde mir auch überhaupt nicht warm.
Der Grund stellte sich im Laufe des nächsten Tages heraus. Ein fetter grippaler Infekt. 1 Woche lag ich komplett „außer Betrieb“ im Bett oder auf meiner Couch, je nachdem. Zum Arzt schaffte ich es erst am 3. Tag, so körperlich am Ende war ich.

Tja, unverhofft kommt oft

Gerade war mein Knie wieder schick, da holt mich so ein blöder Virus ein. Mistviecher! Nach 10 Tagen war ich wieder arbeitsfähig, jedoch noch lange nicht sporttauglich.
Eine Woche musste ich noch brav bleiben und meinen Körper schonen. Somit verlor ich 3 Wochen Lauftraining. Mein Traum vom Berliner Halbmarathon in Bestzeit ging erst einmal auf Tauchstation.Von fast vorne beginnen hieß es nun. Gesagt getan. Der erste Trainingstag mit meiner Laufgruppe war ernüchternd. Das Laufen hatte ich noch nicht verlernt, aber das schnelle (!) Laufen schon. Ich kam mir wie eine lahme, wild schnaufende Ente vor, an der alle vorbeizogen. Ein wenig bemitleidete ich mich schon selbst. Aber wie heißt es so schön. „Man lernt nicht durch Siege, sondern durch Niederlagen“, oder so ähnlich. Nach dem ich mein Jammertal nun ausreichend durchschritten hatte, hieß es Kopf hoch und Beine in die Hand nehmen.

Was die ganze Sache so durcheinander brachte, war mein Privatleben.
Das ich das Laufen durchaus als Kompensation für meine verkorkste Ehe brauchte, war für manche Bekannte und vor allem Freunde nicht unbekannt. Was in meiner Ehe wirklich ablief oder eben auch nicht, wie ich mich fühlte oder was in mir vorging, das wussten nur einige wenige Personen.
Ich war viele Jahre unglücklich, trotz Paartherapie, 3 Trennungsversuchen von meinem Mann, Streit und Versöhnung. Ich war hin und her gerissen. Gehen? Bleiben? Denn es gab unsere Tochter, 5 unschuldige Jahre jung. Für sie wollte ich es immer schaffen, mit meinem Mann zusammenzubleiben.

Alles half nichts

Ende letzten Jahres stürzte ich mich in eine Affäre, die nun Ende Januar aufflog. Ich wollte und konnte nicht mehr lügen. Diese Liaison hatte mir viel schönes geschenkt, aber mich auch Kraft und Zeit gekostet. Beides fehlte nun beim Laufen. Dazu kam nun die Trennung von meinem Mann. Die Affäre lief noch bis Mitte März, bis ich sie beendete.

Alles in allem war ich überfordert

Körperlich und geistig. Ganz billig ausgedrückt: Ich war im Ar … Gerade in solchen Phasen meines Lebens will ich mich dann auf gar keinen Fall hängen lassen. Ein Weg, ein Ziel. Die Trennung sauber über die Bühne bringen, mit der Männerwirtschaft aufräumen, im Job dranbleiben, Kinder umsorgen, auch alle lieben Freunde und … und den Berliner Halbmarathon exzellent finishen! Natürlich ist der Weg uneben, durchaus nicht nachvollziehbar und sehr steinig, inklusive Selbstzweifel. Aber! Ich habe es geschafft! Meine langen Dauerläufe habe ich durchgestanden. Einen besonders wichtigen Lauf, nämlich den über 20 km mit meiner Freundin aus Potsdam. Die Dienstage mit meiner Trainingsgruppe von der AOK und vom SCC haben mich sehr motiviert und die lieben Laufkollegen bzw. teilweise ja sogar -freunde, mich nicht allein auf der Welt fühlen lassen. Die letzten Intervall-Trainingseinheiten waren intergalaktisch! Mark, mein  Lauffreund, hat mir immer zur Seite gestanden und sich meine Heulerei auch angehört, wenn wir gelaufen sind. So viele waren für mich da. Ohne euch alle hätte ich es nicht geschafft.

Am Tag X selbst lag es nun an mir

Der letzte Laktattest hatte eine Prognose von 1:48-1:53 für die 21,0975 km ausgespuckt.
Himmel! Doch so gut? Trotz allem? Ich war mir immer so unsicher, wie gut oder wie schlecht ich nun eigentlich war. Nun hatte ich die Bestätigung, dass ich top trainiert war. Die Prognose tatsächlich umzusetzen, war mir allerdings doch zu taff. Das traute ich mir nicht zu.
Ich einigte mich mit Basti, meinem super-duper Laufhasen, auf eine Pace von 5:25, um dann bei knapp 1:55 ins Ziel zu kommen.

Das Wetter war ja an sich ein Traum, wenn auch am Start etwas frisch. Alle AOK Starter trafen sich am Zelt unseres Sponsors. Dort ließ ich auch meine Tasche und nicht benötigen Klamotten. Wir machten noch schöne Fotos, knuddelten uns alle noch einmal ganz herzlich und drückten uns gegenseitig die Daumen für einen guten Lauf. Die Stimmung war super. Ich lief kurz nach halb zehn zum „Café Moskau“, um dort meine Potsdamer Freunde inklusive meines „Hasen“ zu treffen. Leider war keiner aufzufinden. Mit Basti hatte ich zum Glück schon vorher vereinbart, wo er in den Lauf einsteigen wollte. Also hieß es nun, sich allein in den Startblock D drängeln, vorher natürlich das „DIXI“ aufsuchen und dann … Warten. Warten. Warten.
Die Sonne schien. Die Musik heizte schon mal ein. Die Stimmung war heiß. Ich auch. Wir wollten alle los.

Ca. 10:30 lief ich endlich durch das Start-Tor

500 Meter später stieg Basti ein. Wir verständigten uns kurz und ab ging die Post. Ich lief ohne Musik. Das ist ungewöhnlich für mich. Diesmal wollte ich die Stimmung an der Strecke aufnehmen, ganz beim Laufen sein, und außerdem immer in Kontakt zu Basti bleiben, falls etwas wichtiges kundzutun war. Der Halbmarathon lief erstaunlich gut. Mein Atem ging flüssig, die Beine waren nur bis Kilometer 3 etwas schwer, danach lief es sich gut. Basti sagte nach dem Zieleinlauf, er hatte das Gefühl gehabt, ich würde mich während des Laufes ein wenig langweilen. Nein. Definitiv nicht. Es war ein wunderschöner Lauf. Ich klatschte meinen Lauffreund Mark bei Kilometer 8 ab und auch ein paar Kids am Rand und grüßte oft die Straßenmusikanten. Ein bisschen Spaß muss schon sein. Am Checkpoint Charlie schaute mir Basti in die Augen und sagte: “ Wir können auch noch ein bisschen schneller.“, nachdem ich wohl zu euphorisch den Musikern zugejubelt hatte. „Ok.“ sagte ich und Basti zog das Tempo an. Die Gertraudenbrücke war das letzte Hindernis zwischen uns und dem Ziel. Zweimal kurz ein Ministück „bergauf“. Dort wollten meine Mädels, samt Hund und Freund stehen. Ich war nun doch verdammt am Limit und hätte gern ihre motivierenden Rufe entgegengenommen. Tja, nur leider waren sie nicht da.  Erst 500 Meter vor dem Ziel haben wir uns kurz zujubeln können. Ich war jetzt wirklich hinüber. Basti versuchte mich aufzumuntern und zu motivieren, aber der Akku war nur noch bei 1% Leistung.

Einmal noch rechts um die Kurve

Fast da. Einen Endspurt gab es nicht mehr. Oder doch? Die Wahrnehmung lässt dann doch rapide nach. Zähne zusammenbeißen und Basti folgen … Endlich. Ich war im Ziel!
Basti und meine Beine hatten mich dorthin gebracht. 1:53:29 ist meine offizielle Zeit. Ein Traum!

Fazit:
Es lohnt sich immer zu kämpfen.
Das Leben ist schön.

Gruppenfoto: mit freundlicher Genehmigung der AOK Nordost.
Vielen Dank.