Abschied
Ich sitze in einem Büro der Verwaltung des Krankenhauses der Volkpolizei,
in dem ich schon als kleines Mädchen beim Kinderarzt behandelt wurde. Mir gegenüber, an einem Schreibtisch, eine Frau mittleren Alters. Sie unterhält sich mit meiner Mutter, die links neben mir sitzt. „Mit diesem Sprachfehler kann sie keine Krankenschwester werden! Wenn es mal schnell gehen muss, ist es wichtig, richtig sprechen zu können.“, höre ich die Frau hinter dem Schreibtisch zu meiner Mutter sagen, während ich teilnahmslos dasitze. In selben Atemzug fragt sie meine Mutter, welchen Notendurchschnitt ich hätte. „1,5!“, sage ich nicht ohne Stolz.
„Dann könnte sie medizinisch-technische Assistentin werden. Dafür ist eine Schulnote von mindestens 1,5 erforderlich “, wieder schaut die Frau hinter dem Schreibtisch meine Mutter an. Danach blickt sie wieder in ihre Unterlagen. Dann verschwindet jede Erinnerung an diesen Tag im Jahr 1987 …
Meine Erinnerung kehrt erst wieder,
als ich bei uns zu Hause, die Frage meiner Mutter zugerufen bekomme, was ich nun werden möchte. Das Telefon hatte geklingelt, die Dame vom VP-Krankenhaus ist dran,“… medizinisch-technische Assistentin für Röntgen oder Labor, was möchtest du nun werden?, fragt meine Mutter. Ach du Sch… , das sollte ich mir doch noch überlegen. Da war doch was. Mist! Ich erinnere mich, mal in einer ruhigen Minute kurz darüber nachgedacht zu haben. Zu einem Entschluss war ich jedoch nicht gekommen. Jetzt musste ich mich festlegen. Verdammt. 3-2-1 …
„Ich nehme Labor, Mami.“, höre ich mich noch in den Flur rufen. Was hatte mich bewogen, „Labor“ zu wählen? Es war wohl die Annahme, beim Röntgen viel mit Patienten und damit viel mit Sprechen zu tun zu haben. Allerdings muss ich gestehen, dass es eher eine spontane Bauchentscheidung als alles andere war.
So kam es, dass ich im September 1988
an der Medizinischen Fachschule in Berlin mein Fachschulstudium zur MTLA begann. Die Leiterin unserer Klasse L88/1: „Es werden drei sehr harte Jahre für sie alle werden. Sie werden viel lernen müssen. Dieses Fachschulstudium ist eine große Herausforderung.“, begrüßte sie uns.
„Oh mein Gott!“, dachte ich damals. Wo bin ich hier? War ich nicht gerade aus der Schule raus? Nun sollte ich schon wieder viel und hart lernen? Ich hatte das Gefühl, im falschen Film zu sein. Schulbankdrücken war noch nie mein Ding und ein freiwilliges soziales Jahr, um mal andere Luft als die von Schule zu schnuppern, gab es noch nicht. Als ich den Stundenplan bekam und dort zu allem Unglück das Fach Russisch vorfand, war es geschehen, ich war am Boden zerstört. Dieser Zustand, der vollkommenen Ohnmacht, hielt noch ungefähr bis zum Jahreswechsel 1988/ 89 an. Danach hatte ich das Schlimmste überstanden und war dem Fachschulstudium gewachsen.
In dieser sehr bewegten Zeit, kurz vor und nach dem Mauerfall,
lernte ich die Theorie Fächer „Hämatologie“ und das Praxis Fach „Klinische Chemie“ lieben, die Theorie Fächer „Biochemie“ und „Mathematik“ dafür fürchten. Mein Examen habe ich insgesamt mit der Note 2 abgeschlossen. Zur praktischen Prüfung wurde mir von der Dame, die mich unter die Lupe nahm gesagt, sie hätte noch nie eine so lockere und entspannte Person wie mich gesehen. Tja, ich war wohl auch zu locker und säuberte deshalb, wie so viele MTLA´s in der Routine, den Haken für die Blutgerinnung an meinem Hygiene-Kittel, natürlich ein absolutes no-go. Dafür wurde ich eine Note schlechter bewertet, sehr zum Leitwesen meiner Mentorin. Sie hatte mich im letzten Jahr meiner Ausbildung begleitet und sich mit mir auf die Prüfung vorbereitet. Den Leiter des Labors, gab es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Es war 1991 und vieles anders als zuvor …
Frau Dr. Franz hatte ich es dann zu verdanken, dass ich nach meinem Abschluss im Sommer 1991 einen Job in der Transfusionsmedizin bekam. Leider nur als Laborarbeiterin. Eine andere, bessere Stelle gab es für mich nicht. Natürlich hätte ich mich auf machen können in die weite Welt, mit meinem Examen in der Tasche. Mein starkes Stottern, ein Selbstbewusstsein in homöopathischer Dimension und die Angst vor Unbekanntem blockierten mich jedoch. Auf bekanntem Terrain und mit lieb gewonnenen Kollegen zu arbeiten, gab mir Sicherheit. Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Nach 30 Dienstjahren in Berlin, ist nun jedoch der Zeitpunkt gekommen, mich zu verabschieden.
Es zieht mich beruflich nach Kiel …
Abschied genommen habe ich
und bereits ein Tal von Tränen, innerhalb der letzten zwei Wochen, durchwandert … dazu später mehr.
Heute Morgen bin ich aus Kiel in Berlin angekommen. Eine Woche werde ich Zeit mit meiner Familie verbringen. Kaum zu Hause, schnüre ich meine Laufschuhe. Zu den Klängen von Schiller, den ich zum Laufen ganz neu entdeckt habe, starte ich meinen Long Run. Auf alt bekannten Wegen ziehe ich meine Bahnen, durch die Straßen, vorbei an der Mall of Berlin hin zum Tiergarten. Vor anderthalb Jahren war es mir schwer gefallen, diese pulsierende Gegend der Berliner City als neuen Wohnort anzunehmen. Ebenso war es mit der großen Wohnung, in die ich mit meinen Mädels in eine Art WG, einzog.
Nun sind alle weg, die WG aufgelöst
Jeder geht seine eigenen Wege. Oh, was war das schwer, meine Mädels loslassen zu müssen! Nur mein Bruder ist noch da. Wie das Schicksal es so wollte, hat er nun für weitere Monate Obdach gefunden und ich die Möglichkeit, mir die teure Miete zu teilen. Das Leben steckt voller Überraschungen. Die Berliner Luft beim Laufen einatmend, stelle ich fest, dass mir die Kieler Luft bei weitem besser „schmeckt“. Schon am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt atmet man die Seeluft ein. Das ist der Hammer! Seeluft in einer Stadt, toll. Bei meiner Rad-Erkundungstour gestern, durch Kiel (vom Stadtteil Wik über den Nord-Ostsee-Kanal nach Holtenau) habe ich mich in diese Stadt verliebt – eine Mischung aus Stadt, Land(schaft) und Meer. Auf einer Bank mein Abendessen in Form eines Picknicks genießend, wusste ich: „Das ist es!“
Das ist SIE, meine Stadt. So etwas kann man nicht beschreiben, man fühlt es einfach, wie bei der Liebe. Bähm!
Im Tiergarten genieße ich das satte Grün des Parks. In diesem Teil von Deutschland ist der Frühling eher angekommen als im kühlen Norden. Obwohl ich nicht meckern kann, Kiel hat mich mit aller bestem Wetter begrüßt, praktisch mit Sommer, bei bis zu 26 Grad.
In Berlin scheint auch die Sonne
Die Wolken am Himmel zaubern Fantasie-Figuren. Berlin, Berlin. Dich werde ich trotz allem immer lieben. Plötzlich laufen mir Tränen über die Wangen. Maya! Meine Kleinste. Sie lebt nun hauptsächlich bei ihrem Vater. Die beiden verstehen sich sehr gut. Sie ist sehr glücklich bei ihm, Anderes möchte ich auch nicht annehmen. Die gemeinsame Woche mit ihr wird bestimmt sehr schön. Zuvor ist sie noch bei meiner Mama, morgen sehen wir uns endlich!
Am großen Stern angekommen biege ich erneut in „meinen“ Teil des Tiergartens und laufe zurück in Richtung Brandenburger Tor, mal wieder Touristen-Feeling schnuppern. Sich den Bürgersteig, mit gefühlt tausenden Touristen, zu teilen, ist eine Herausforderung. Im Zick-Zack Kurs umläuft man Menschen, wie auf einem Hindernisparcours. Stolpern und Anrempeln ist nicht ausgeschlossen! Da heißt es, Balance halten. Wie oft haben mich diese Menschenmassen genervt. Vor allem wenn ich NICHT laufen war, sondern auf dem Weg zur Arbeit oder zu Terminen.
In Kiel soll es hingegen die so genannte „Schweden-Schwemme“ geben, wenn die nordischen Touristen die großen Schiffe verlassen und in die Stadt „einfallen“. Hihi, lustige Formulierung. Gesehen habe ich diese noch nicht. Abwarten! Werde ich bestimmt noch.
Durch das Brandenburger Tor laufend, pocht mein Herz ganz stark. Hier bin ich mit Marc vor drei Wochen, beim Berliner Halbmarathon, durchgelaufen. Das war so unglaublich schön!
Herrje! Mir fällt ein, dazu muss ich ja noch eine Geschichte schreiben – Die Geschichte von der Entdeckung der Leichtigkeit des Laufens …
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Viel Erfolg beim neuen Lebensabschnitt. Du wirst mir fehlen.
Danke liebe Silke!
Du und alle anderen Läuferfreude werden mir auch fehlen.
Gern denke ich an unsere gemeinsame Zeit!
Liebe Grüße Diana