Wo ist mein „Biss“ geblieben?

Jahrelang bin ich, mehr oder weniger, wie eine Irre gelaufen

Schnell, weit, hoch, runter, in Intervallen, ganz langsam, allein, mit Traningspartner oder in der Gruppe und oft auch am absoluten Limit. Seit geraumer Zeit fehlt mir dieses Bedürfnis, es sich läuferisch beweisen zu müssen.
Mir fehlt der Biss! Wo ist er hin?
Die letzten 7 Jahre waren eine große Herausforderung. Das Laufen hatte mir Halt gegeben. Laufen war Therapie, Trost-und Freudenspender, der Beweis an mich selbst stark zu sein, Glücksbringer. Laufen war mein Leben! Nun habe ich mein Leben wieder, wenn auch in anderer Form selbstverständlich.

In meiner neuen Wohnung steht eine riesengroße Couch, die mir der Vormieter liebenswürdigerweise überlassen hat. Sie wird von meinen Mädels liebevoll die Porno-Couch genannt. Sie ist mit dunkelrotem Samt bezogen und sehr einladend für ein ausgiebiges Kopfkino … Auf dieser Couch sitze ich zu gern allein oder auch mit meinen Mädels, trinke Weinschorle, schaue romantische Komödien und verbrauche dabei unzählige Taschentücher. Hey, das ist wirklich besonders. Denn erstens habe ich in den letzten Jahren kaum einen Schluck Alkohol angerührt und zweitens konnte ich selten still sitzen.

Wenn ich Filme schaute, dann meistens in Bewegung. Ich stand nebenbei auf meinem Wackelbrett, machte Pilates oder Yoga. Schließlich wollte ich sportlich fit und durchtrainiert sein, um intensiv laufen zu können. Damals habe ich mich auch sehr wohl dabei gefühlt. Es war eben so, wie es war, alles war in Bewegung. Stillstand hätte ja bedeutet, zur Ruhe zu kommen und zu bemerken, was um mich herum passiert. Genau DAS wollte ich ja nicht.
Ich wusste genau mein Leben ist eine große Blase, die jederzeit zerplatzen konnte. BANG!

Natürlich konnte all mein Laufen, …

… trainieren und im Hamsterrad umher rennen, das Schicksal nicht aufhalten. Der große Crash kam, selbstverständlich mit aller Macht, im Januar 2016. Bis dahin konnte ich jedoch fast einen Rekord nach dem Nächsten erlaufen. Ich war unermüdlich.

Jetzt ist der große Crash überstanden, ich bin recht gut sortiert und verspüre keinen Drang, läuferisch durch die Decke zu gehen. Liegt es “nur” an der Veröffentlichung meines Buches “33 laufende Geschichten”, der wöchentlich wechselnden Betreuung meiner kleinen Tochter, dem Volltagsjob , um meine Miete bezahlen zu können und dem daraus resultierenden Zeitmangel oder an den sich langsam heranschleichenden Wechseljahren? Ganz ehrlich … das glaube ich nicht!

Nach Jahren macht mir, wenn mal vorhanden, Ruhe keine Angst mehr. Natürlich bin ich als “Hummelchen” nicht der Typ Mensch, der wirklich ruhig sitzen bleibt. Ich werde immer in Bewegung bleiben und hektisch Gläser vom Tisch schmeißen und ich werde stets leicht grüblerisch bleiben … aber … ich habe kein Bedürfnis mehr, es mir beweisen zu müssen … ein vollwertiger Mensch, ein gute Mutter oder die perfekte Frau zu sein. Ich bin, was ich bin und ich bin gut, so wie ich bin! Diese Erkenntnis hat Jahre gebraucht.

Das Laufen ist nach wie vor ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Ich liebe es, zu laufen. Aber derzeit liebe ich es einfach “nur” zu laufen. Die Bewegung draußen (egal bei welchem Wetter), das Laufen mit Freunden, laufen mit Musik (immer super cool!).
Laufen macht mich glücklich, ist jedoch keine Therapie mehr … es ist Genuss … ganz und gar!